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Unverzichtbare Arbeit: Pflege von Hilfsbedürftigen.

© Marijan Murat/dpa

Mehr als Applaus und Lob nötig: Wie Corona für soziale Berufe zur Chance werden kann

In der Krise wird mehr Menschen bewusst, dass soziale Berufe essenziell für das Funktionieren der Gesellschaft sind. Das muss Folgen haben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Corona und kein Ende – weil das so ist, muss sowohl weitergemacht als auch weitgedacht werden. Hehre Worte vor Wochenfrist dürfen nicht ohne Folgen gesagt sein.

Zum Beispiel, dass die sozialen Berufe, die Berufsbilder von Erziehern oder Pflegefachkräften oder Sozialarbeiterinnen in der Gesellschaft jetzt „positiv verankert“ werden müssten, wie es der neue Chef der Inneren Mission München, Thorsten Nolting, dieser Tage gesagt hat. Von Applaus und Lob lässt sich sicherlich zehren – davon ewig leben nicht.

Weil gerade mehr Menschen bewusst zu werden scheint, dass soziale Berufe „systemrelevant“ sind, also für das Funktionieren der Gesellschaft essenziell wichtig, lässt sich aus alledem auch eine Chance machen. Der Bundespräsident hat schon recht: Wir müssen uns nur jetzt daran erinnern, gegenseitig. Das ist dann vielleicht gerade noch rechtzeitig.

Zumal ja auch viele Jugendliche die Chance schon sehen. Eine repräsentative Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums belegt: Ein Viertel der Befragten zwischen 14 und 20 Jahren kann sich vorstellen, als Erzieherin oder Erzieher zu arbeiten.

In der Pflege ist es ein Fünftel. Das schönste Ergebnis: Für die Jugendlichen ist es wichtig, dass sie etwas bewirken können mit ihrer Arbeit – dass sie „Gutes tun“. Allerdings ist es das Verhältnis von Leistung und Bezahlung, das sie davon abhält.

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Wie nun den Anker werfen?

Logisch: Was als inakzeptabel bewertet wird, schreckt ab. Darum ist es so wichtig und richtig, die Sozialen Berufe „positiv zu verankern“. Wie nun den Anker werfen?

Die Politik ist in der Verantwortung, ideell, organisatorisch, finanziell, für eine gute Zukunft, mit und ohne Corona. Zum Beispiel in der stationären Jugendhilfe, in Einrichtungen für Geflüchtete oder Wohnungslose: Hilfe ist hier nötig und führt auch zu Anerkennung.

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Was tun, wenn ein Virus grassiert? Schutzkleidung und Pläne für Quarantänesituationen, schnell abrufbar, in denen die Fachkräfte bei der Notbetreuung berücksichtigt werden, zeigen Respekt und Wertschätzung in einem.

Und dann das Geld. Nehmen wir Pflege-Auszubildende. Die müssen die Ausbildung nicht mehr selbst bezahlen, für die neue generalistische Lehre sind 11.40 Euro brutto deutschlandweit im ersten Lehrjahr vereinbart. Auch ein Aufstiegs-BAföG wird vom 1. August an gezahlt, als Vollzuschuss.

Ein Lichtblick. Doch bei Erziehern ist das schon wieder anders. Ihre Ausbildung ist Ländersache. Und dann erhalten nur 30 Prozent der Auszubildenden eine Vergütung, einige müssen extra Schulgeld zahlen. Obwohl der Mangel an Fachkräften hier besonders groß, extrem eklatant ist.

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In Zahlen: Gegenwärtig absolvieren 33.000 Menschen eine Erzieher-Ausbildung; bis 2025 werden werden allerdings mehr als 370.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt, denn von 2025 an soll es einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule geben.

Ungut für das gesellschaftliche Klima

Signale, die als ein Mangel an Wertschätzung aufgefasst werden können, sind nicht hilfreich. Wenn etwa in der Krankenpflege eine versprochene Einmalzahlung länger aussteht oder von stark verbesserten Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen einstweilen nichts mehr zu hören ist.

Dabei wissen jetzt alle (besser), wie sehr der Mensch auf den anderen angewiesen ist; in der Krise kann das sehr schnell handfest deutlich werden.

In den sogenannten Care-Berufen offenbart sich eine Kluft zwischen dem Hier und Jetzt und dem Morgen. Das ist ungut fürs gesellschaftliche Klima. Die „Heldinnen und Helden des Alltags“, wie Sozialminister Hubertus Heil sie nannte, deren besondere Leistung „auch finanziell besonders vergütet“ werden solle, wie Gesundheitsminister Jens Spahn sagte – sie haben alles Recht, daran zu erinnern.

Es geht um die konkrete Antwort auf die konkrete Frage von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, „was uns unverzichtbare Arbeit wirklich wert sein muss“. Tagespolitik? Die Lösung reicht weit in die Zeit, die noch kommt. Oder die jederzeit wiederkommen kann.

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