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Politik: Mehr als ein Job

Von Tissy Bruns

Mit schwacher Legitimation kann man nur schwer regieren, wie Gerhard Schröder weiß. Oder gar nicht, wie Heide Simonis gestern erleben musste. Ihr Debakel wirft ein zusätzliches Licht auf die Bewegungen in Berlin – es sieht nach großer Koalition aus. Die aber keiner will. Weder die Union, die mit der Überraschung in Kiel erst recht Grund hat, auf Sieg in NordrheinWestfalen und bei der Bundestagswahl zu setzen. Noch der Bundeskanzler und seine Koalition: Die Grünen sind natürliche Feinde derartiger Konstellationen. Und die SPD findet immer wieder Gründe, auch nach dem tiefsten Tief Hoffnung zu schöpfen. Sogar an dem Tag, an dem auf einen leichten Höhenflug am Vormittag der unerwartete Schlag aus Schleswig-Holstein folgte.

Einmal mehr bestätigte Schröder die Erfahrung, dass dieser Bundeskanzler mit einer schwachen Opposition und schönem Wetter schlecht bedient ist. Er läuft sich unter Druck warm. Niederlagen wie die rot-grüne in Schleswig-Holstein sind dazu angetan, Schröder in Hochform zu bringen, die sich bei ihm erst einstellt, wenn es aussieht, als habe er keine Chance mehr. Deshalb haben Angela Merkel und Edmund Stoiber dem Land mit ihrem offenen Brief einen Dienst erwiesen. Die Kontroverse im Bundestag und die Verhandlungen am Nachmittag zeigen: Es könnte doch noch etwas gehen vor der Bundestagswahl.

Ein Durchbruch gegen die Arbeitslosigkeit ist zwar weiter nicht in Sicht. Aber auch kleine Schritte sind viel besser als das lähmende Gefühl, dass die Politik sich vollends matt gesetzt hat, aus rein taktischen Gründen, die den Bürgern gleichgültig sind. Die Opposition hat Schröder unter Druck gesetzt, sich selbst aber auch. Denn der Kanzler hat den Stier bei den Hörnern gepackt; er hat mit seinen konkreten Vorschlägen ein Stück Initiative zurückgewonnen. Auch weil darunter einige sind, die sein eigenes Lager nur mit Misstrauen annimmt. Das setzt die Opposition unter Zugzwang. Auch sie muss sich überwinden.

Dabei stand die SPD-Fraktion gestern entschiedener hinter dem Bundeskanzler als bei der Agenda-Rede, mit der Schröder vor zwei Jahren den Reformprozess eingeleitet hat. Wie Merkel nutzte auch er den Vormittag im Bundestag, um politische Trennschärfe zu den Gesprächspartnern vom Nachmittag zu finden. Wo Merkel die Ordnung der Freiheit beschwor, formulierte Schröder die Erhaltung der Sozialstaatlichkeit unter veränderten Bedingungen als Leitlinie. Merkel lehnte sich sehr an den Bundespräsidenten an; Schröder handelte von der Warte des Politikers, der sich bereits an Großem versucht. Nebenher hat er, was lange Zeit nicht seine Stärke war, wieder gezeigt, dass er bis ins Detail sattelfest ist, wenn es um Kündigungsschutz, betriebliche Bündnisse, Steuern, Hartz, Sozialhilfe geht.

Das Wort der Union vom „Pakt“ ist zu groß, wenn man es an den sachlichen Vorschlägen misst, die immer noch strittig sind und zerredet werden können. Der Begriff trifft und erinnert aber an den Kern: die gemeinsame Verantwortung, die Regierung und Opposition wegen der Kräfteverhältnisse im Land haben. Die Mehrheiten in Bund und Ländern konstituieren keine große Koalition. Aber eine merkwürdige Form der Doppelherrschaft, bei der die politische Verantwortung nicht eindeutig zu identifizieren ist. Die Gesundheitsreform und die Hartz-Gesetze sind gemeinsame Produkte von Bund und Ländern – doch die Union als Opposition im Bundestag hat immer die Möglichkeit, die Verantwortung ins Regierungslager zu verweisen, wenn die Reformen schlecht ankommen. Es steckt ein Schlag Heuchelei in der Klage über die erschreckende Fünf-Millionen-Zahl. Denn die Union wusste so gut wie die Regierung, dass im Gefolge von Hartz IV die Arbeitslosenzahl statistisch ansteigen würde.

Verantwortung hat Schröder im Bundestag angemahnt. Bei den Kommunen, die nicht investieren, obwohl Hartz IV ihre Kassenlage verbessert; bei den Unternehmern, die nicht einstellen, obwohl der Kündigungsschutz gelockert ist; bei der Opposition. Deren Verdienst bleibt es, den Kanzler am richtigen Punkt gereizt zu haben.

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