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Politik: Mehr Dezentralisierung und Eigenverantwortung

Von Wolfgang Schäuble

Mit der Verdrängung des so genannten „Jobgipfels“ aus den Schlagzeilen durch die gleichzeitigen Ereignisse in Kiel hat sich Antje Vollmer vergangenen Sonntag beschäftigt. Manche haben auch spekuliert, der Bundeskanzler habe den Termin bewusst so gewählt, um von den gleichzeitigen Vernehmungen im VisaUntersuchungsausschuss abzulenken. Und jetzt soll die Suche nach einem Heckenschützen davon ablenken, dass man auf Sonderrechten für Minderheiten eben stabile Mehrheiten auf Dauer nicht bauen kann.

Wie auch immer – es ist einiges schief gegangen. Das Problem wachsender Arbeitslosigkeit und zunehmender Resignation bleibt. In den neuen Bundesländern wurde bei den Reden zu diesem Thema schmerzlich vermerkt, dass die Probleme beim Aufbau Ost nicht einmal erwähnt wurden, obwohl sich in dieser Woche auch der Tag der ersten freien Wahl zur Volkskammer in der DDR zum 15. Mal jährte und sich überdies die Stimmen mehren, die die wirtschaftlichen Probleme des Ostens und die hohen Transferleistungen als Hauptursache der deutschen Wirtschaftsschwäche ausmachen. Das passt gut zu dem Drängen der Bundesregierung, beim Europäischen Stabilitätspakt die Sonderbelastungen aus der deutschen Wiedervereinigung zu berücksichtigen. Der Einwand unserer europäischen Partner, was daran 15 Jahre nach der Wiedervereinigung nun Neues sein sollte, ist auch nicht leicht von der Hand zu weisen.

Mir scheint richtig, dass wir die besonderen Schwierigkeiten in den neuen Bundesländern nicht aus dem Auge verlieren dürfen. Aber ich bezweifle, dass die Leistungen für den Aufbau Ost die eigentliche Ursache unserer Probleme im Wirtschafts- und Arbeitsmarkt sind. Die sehe ich eher in zu viel Widerstand gegen notwendige Anpassungen, um die wir in Zeiten verschärften weltweiten Wettbewerbs und schnellerer Veränderungen nicht herumkommen. Mehr Dezentralisierung tut Not und Stärkung von Eigenverantwortung, damit die Menschen erkennen, dass sie gebraucht werden und dass sie selbst auch etwas bewirken können. Davon ist nicht nur im Osten in den Jahrzehnten zentralistischer Diktatur viel verloren gegangen, sondern auch im Westen mit immer mehr Regulierung und Bürokratie.

Die Einsicht, dass wir so nicht weitermachen können, wächst gleichwohl. Und das begründet die Zuversicht, dass grundlegendere Reformen möglich werden. Das hat sich vor dem „Jobgipfel“ gezeigt, als alle Beteiligten spürten, dass es um Ernsthaftigkeit und nicht um taktisches Geplänkel gehen muss. Und diese Einsicht setzt sich auch gegen die Aufgeregtheiten aktuell wechselnder Schlagzeilen durch.

Vielleicht ist es wie mit den Jahreszeiten. Wochenlang wollten Schnee und Kälte nicht weichen, und nun ist der Frühling doch da. Wie in Goethes Faust beim Osterspaziergang: „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden belebenden Blick.“ Es wäre schön, wenn das symbolische Bedeutung über den Wetterbericht hinaus gewinnen könnte.

Der Autor ist Mitglied des Präsidiums der CDU.

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