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Der Frauenanteil im Bundestag sinkt.

© Christian Spicker/Imago

Exklusiv

Mehr Frauen im Bundestag: Grüne formulieren Kriterien für Paritätsgesetz

Mindestens 50 Prozent Frauen im Parlament – dies muss nach Ansicht der Grünen das Ziel sein. Der Frauenrat der Partei macht nun Druck für ein Gesetz.

„Die Hälfte der Macht den Frauen“ – das soll künftig nach dem Willen der Grünen auch für den Bundestag gelten. „Wir wollen echte Parität in den Parlamenten“, heißt es in einem Antrag, den der Bundesfrauenrat der Partei am Sonntag beschließen will. Darin formulieren die Grünen erstmals Kriterien für ein Paritätsgesetz auf Bundesebene.

So müsse es sowohl für Listen als auch für Direktwahlkreise eine Quotierung geben, die dazu führe, dass am Ende auch mindestens 50 Prozent Frauen im Parlament vertreten seien, heißt es in dem Entwurf, der dem Tagesspiegel vorliegt. Ein Paritätsgesetz müsse auch die dritte Geschlechtsoption einschließen. Und weiter: Bei Nichteinhaltung des Paritätsgesetzes müsse es „klare Sanktionen“ geben.

Seit die AfD in den Bundestag eingezogen ist und frauenpolitische Errungenschaften wieder stärker in Frage gestellt werden, wird Feminismus für die Grünen wieder stärker zur strategischen Frage. Auch in der Europawahlkampagne widmet die Partei dem Feminismus ein eigenes Plakat: „Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit“, heißt der Slogan.

„100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland sollte auch im Parlament endlich Gleichberechtigung herrschen“, fordert nun die stellvertretende Parteichefin Gesine Agena, die den Antrag zum Paritätsgesetz für den Bundesfrauenrat mit erarbeitet hat. Das sei nach Artikel 3 des Grundgesetzes („Niemand darf wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden“) sogar Auftrag des Staates. „Doch aktuell machen wir die gegenteilige Erfahrung: Der Frauenanteil im Bundestag steigt nicht, er sinkt“, sagt Agena.

Derzeit sind weniger als ein Drittel (30,9 Prozent) der Bundestagsabgeordneten Frauen, dabei ist gut die Hälfte (51,5 Prozent) der Wahlberechtigten weiblich. Gegenüber den 1980er Jahre hat sich der Frauenanteil in den Parlamenten zwar verdoppelt. Doch nach dem bisherigen Höchstwert von 2013 (36,5 Prozent) ist er nun wieder auf das Niveau von 1998 gesunken.

Hoffnung auf Wahlrechtsreform

Besonders gering ist der Anteil in den Bundestags-Fraktionen von Union (20 Prozent), FDP (22,5 Prozent) und der AfD (11 Prozent), bei der SPD sind etwa 41 Prozent Frauen vertreten. Nur Grüne und Linke stellen mehr als die Hälfte Frauen in ihren Fraktionen (58 beziehungsweise 54 Prozent).

Nicht nur bei den Grünen, sondern auch in den anderen Parteien führen diese Zahlen zu der Frage, wie der Frauenanteil gesteigert werden kann. Befürworter einer Quote hoffen dabei auf die ohnehin anstehende Wahlrechtsreform, die nach einem Bundesverfassungsgerichtsurteil notwendig geworden ist.

Im Bundestag hat sich außerdem eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe zur Frauenförderung gebildet, in der Politikerinnen aller Parteien vertreten sind - mit Ausnahme der AfD. Sie loten auch aus, ob es Mehrheiten für ein Paritätsgesetz geben könnte. Rechtlich ist dieses allerdings umstritten – Kritiker sehen darin einen unzulässigen Eingriff in die Autonomie der Parteien.

Grüne kritisieren CDU/CSU, FDP und AfD

Als erstes Bundeslang hatte Brandenburg im Januar dieses Jahres mit den Stimmen von SPD, Linkspartei und Grünen ein solches Gesetz verabschiedet. Dieses verpflichtet die Parteien, bei der Landtagswahl 2024 ihre Listen abwechselnd mit einer Frau und einem Mann zu besetzen. Für die Nominierung der Wahlkreiskandidaten gibt es hingegen keine Vorschriften.

Die Grünen erhöhen nun auch auf Bundesebene den Druck, gesetzgeberisch aktiv zu werden. Im letzten Bundestagswahlprogramm hatten sie lediglich den Prüfauftrag formuliert, ob beispielsweise ein Paritätsgesetz helfen könne, den „unsäglichen Zustand“ der massiven Unterrepräsentanz von Frauen abzustellen.

Gleichberechtigte Beteiligung von Frauen komme nicht allein, heißt es nun in der Beschlussvorlage für den Bundesfrauenrat. Bei CDU/CSU, FDP und AfD sei keine Bereitschaft da, verbindliche strukturelle Maßnahmen zu ergreifen, um den Frauenanteil in den eigenen Reihen zu erhöhen und für eine angemessene Repräsentanz zu sorgen. „Selbstverpflichtungen bringen uns nicht weiter“, schreiben die Grünen-Frauen.

Immer weniger Frauen in Parteien

Während Grüne, Linke und die SPD schon länger verbindliche Frauenquoten bei der Listenaufstellung festlegen (bei Grünen und Linken sind es 50 Prozent, bei der SPD 40 Prozent), ist bei CDU, CSU und der FDP keine Quote verankert. Allerdings nehme die Sensibilität für eine solche Regelung auch in diesen Parteien zu, heißt es in einer Studie des Parteienforschers Benjamin Höhne. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer etwa hatte ihre Partei vor kurzem ermahnt, mehr Frauen zu nominieren – ansonsten werde irgendwann eine gesetzliche Regelung kommen.

Parteienforscher Höhne weist in seiner Untersuchung allerdings auch darauf hin, dass es nicht nur auf die Listenaufstellung ankomme, sondern das Problem viel früher beginne. „Die absolute Zahl der Frauen, die über ein Parteibuch verfügen, ist dramatisch rückläufig“, schreibt er. Waren vor anderthalb Jahrzehnten noch mehr als 450.000 Frauen Mitglieder einer Partei, so seien es Ende 2017 nur noch etwa 350.000 gewesen. Am höchsten ist der Frauenanteil bei Grünen und Linken (rund 40 Prozent), gefolgt von der SPD (rund ein Drittel). Deutlich geringer fallen die Anteile bei CDU, CSU, FDP und AfD aus.

Mit einem Paritätsgesetz oder einer Frauenquote allein sei es nicht getan, stellen deshalb auch die Grünen fest. Um mehr Frauen für politisches Engagement zu gewinnen, müsse sich die politische Kultur in den Parteien und Parlamenten ändern, heißt es in dem Papier, das am Sonntag beschlossen werden soll. Es brauche Frauen-Mentoring-Programme, Frauenräume und ein Redeverhalten, das alle Menschen anspreche und niemanden ausschließe.

Gleichzeitig müssten Parteien dafür Sorge tragen, dass die Ausübung von Ämtern und Mandaten mit der Sorge für Familie und zu pflegenden Angehörige besser vereinbart werden könne. Insbesondere im Bereich der ehrenamtlichen Politik sei es eine Herausforderung, Politik, Beruf und Familie zu vereinbaren, heißt es weiter: „Hier haben alle Parteien noch einiges zu tun.“

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