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Politik: Mehr Ökonom als Militär

Experten erwarten, dass der designierte britische Premier Brown in der Beziehung zu den USA andere Akzente setzt

Noch einmal können sich Großbritanniens Satiriker und Karikaturisten in diesen Tagen an Tony Blair abarbeiten. Das besondere Verhältnis zu den USA, die atlantische „Special Relationship“ ist dabei ein gern genommenes Thema. Auf seiner Titelseite zeigte das Satiremagazin „Punch“ ein Foto des scheidenden Premiers mit Präsident George W. Bush. Blair bekam eine Sprechblase verpasst: „I did it your way“, singt er fast wie Frank Sinatra am Schluss einer großen Show. Das Magazin „Spectator“ ist schon einen Schritt weiter. Es gibt Blairs designiertem Nachfolger Gordon Brown einen drüber. Die Karikatur auf dem Cover zeigt den Bluthund Bush, der das Hinterteil des Schoßhündchens Brown beschnüffelt. Unterzeile: „Wird Brown Bushs neuer Pudel?“

Bei allen Spekulationen über die Zukunft der speziellen Beziehung nach dem Übergang von Blair zu Brown am 27. Juni geht es vor allem um das Thema Krieg und Nachkrieg am Golf. „Bis Ende 2007 verlassen die britischen Truppen den Irak“, prognostiziert Robin Niblett, der fast zehn Jahre beim Center für Strategische und Internationale Studien (CSIS) in Washington das Europaprogramm leitete und kürzlich zu Chatham House in London wechselte. „Sie werden in Afghanistan gebraucht.“ Die Verlegung habe auch Blair angestrebt, aber „mehr Rücksicht auf die USA genommen“. „Brown denkt da egoistischer.“ Freilich wolle auch er „nichts tun, was die enge Kooperation, etwa der Geheimdienste, gefährdet“.

Der Irakkrieg gilt in Großbritannien als großer Fehler der zehnjährigen Regierungszeit Blairs. Zwei Drittel der Briten glauben, dass Blair vor allem dafür in Erinnerung bleiben wird. Andererseits halten ihn ungefähr genauso viele insgesamt für einen guten Premier. „Brown steht vor dem Problem, Kontinuität und Wechsel gleichzeitig verkörpern zu müssen“, sagt Gerry Hassan, Herausgeber des Buches „After Blair. Politics after the New Labour decade“ und Analytiker beim Thinktank Demos.

Hassan sieht die Beziehung zwischen Blair und Bush nicht unbedingt als „speziell“, sondern vielmehr als „bizarr“. Nie habe es seit dem Beginn der besonderen Beziehung durch den gemeinsamen Sieg im Zweiten Weltkrieg eine derart merkwürdige Allianz eines amerikanischen Präsidenten und eines britischen Regierungschefs gegeben. Die Beziehung, so Hassan, sei geprägt von britischem Kadavergehorsam mit geringer amerikanischer Gegenleistung. Selbst Margaret Thatcher und Ronald Reagan, die sehr eng kooperierten, seien durchaus verschiedener Meinung gewesen – zum Beispiel über die amerikanische Besetzung Grenadas oder den Falklandkrieg. Mit dem Wechsel zu Brown erwartet Hassan mehr Analyse und weniger Männerfreundschaft. Während der Charismatiker Blair gegenüber Bush auf seine persönliche Aura und Überredungskunst setzte, dürfte Brown wieder mehr auf Berater auf beiden Seiten des Atlantiks hören. „Er kennt sich im amerikanischen Establishment besser aus als Blair“, sagt Gerry Hassan.

In den USA wird nach der Machtübergabe in Großbritannien kein drastischer Politikwechsel, wohl aber eine Änderung von Ton und Stil erwartet. Das dürfte sich auf die Irak-, Afghanistan- und Antiterrorpolitik, auf den Umgang mit Klimawandel und Afrika auswirken, eher aber graduell, nicht abrupt. Darin sind sich die Großbritannien-Experten großer Thinktanks mit den Diplomaten des US-Außenministeriums einig. Brown denke weniger in militärischen und mehr in ökonomischen Kategorien als Blair.

„Brown beurteilt die Rolle des Militärs skeptischer“, sagt Julianne Smith, die neue Europa-Direktorin bei CSIS. Sie erwartet dennoch „große Loyalität zu den begonnenen Missionen“. In der Terrorabwehr werde sich Brown von zwei Seiten zeigen, sagt sie voraus. Er lehne einerseits die Bush-Terminologie vom „Krieg gegen den Terror“ ab, wolle andererseits aber Extremisten in Großbritannien eher härter behandeln und länger einsperren lassen als Blair. „Schutz der Bürger hat Vorrang. Für ihn ist das mehr eine polizeiliche Aufgabe, weniger eine militärische.“ Das dürfe man „nicht mit Weichheit gegen Terror verwechseln“.

Afrikahilfe, Schuldenerlass, Armuts- und Aidsbekämpfung – auf diesen Gebieten glänzt Brown, sagt Julianne Smith. Dabei sei er „noch mehr Missionar als Blair“. Da eröffne sich eine enge Partnerschaft mit Bush, der hier ebenfalls einen starken religiösen Antrieb habe. Insgesamt sei „Brown introvertierter, neigt weniger als Blair und Bush zu spontanen Entschlüssen und möchte eine Entscheidung in Ruhe durchdenken“.

Im US-Außenministerium widerspricht man solchen Einschätzungen nicht, formuliert aber zurückhaltender. „Unsere Beziehung ist kraftvoll, lebendig und robust“, sagt Ken Roy, Leiter der Großbritannien-Abteilung. Er rechnet mit „Kontinuität, die Unterschiede werden subtiler Natur sein“. Brown habe einen anderen Weg an die Spitze genommen als Blair. „Er sieht die Dinge stärker durch ein ökonomisches Prisma.“ Auch er betont „Browns religiösen Hintergrund“. Und seine Herkunft aus Schottland, das in Großbritannien wie international „immer mehr eigenes Profil“ zeige. „Das beobachten wir mit Interesse.“

Weder Niblett und Smith noch Roy erwarten Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen der EU und den USA. Brown und die USA wollen ein stärkeres Europa, sehen die aktuellen Wege der Integration aber skeptisch. Brown werde da „sehr vorsichtig agieren“.

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