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Bei den Protesten in Ägypten kam es am Freitag zu blutigen Ausschreitungen.

© Reuters

Update

Mehrere Tote bei Protesten: Blutige Auseinandersetzungen in Ägypten

In Ägypten hat sich die Lage am Freitag dramatisch zugespitzt: Hunderttausende Menschen demonstrieren im ganzen Land, bei Schießereien starben mehrere Menschen. Der Übergangspräsident hat das ägyptische Oberhaus aufgelöst und die Afrikanische Union hat Ägypten vorerst als Mitglied ausgeschlossen.

In Kairo, Alexandria sowie zahlreichen Städten im Nildelta und Oberägypten gab es blutige Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern des abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi. An der Nil-Corniche nahe dem Tahrir-Platz gab es am Abend drei Stunden lang wüste Krawalle und Schießereien, an denen sich zeitweise Tausende Menschen beteiligten. Durch Wohnviertel im Stadtzentrum hallten am Abend Schüsse aus automatischen Waffen. Nach ersten Angaben des Staatsfernsehens starben mindestens zwei Menschen und wurden 70 verletzt. Als gegen 22 Uhr die Armee mit gepanzerten Fahrzeuge einschritt, beruhigte sich die Lage etwas.

Vor dem Hauptquartier der Republikanischen Garden in Kairo, die für den Schutz Mursis zuständig waren, feuerten Elitesoldaten auf die Anhänger des gestürzten Präsidenten. Drei Menschen starben, mehrere wurden verletzt. Den ganzen Tag über waren Hunderttausende Islamisten in zahlreichen Städten unter dem Motto „Freitag der Ablehnung“ auf die Straße gegangen.

Auf dem Gelände rund um die Rabaa al-Adawiya Moschee im Stadtteil Nasr City, wo die Islamisten weiterhin zu tausenden campieren, erschien überraschend der Chef der Muslimbruderschaft, Mohammed Badie. „Millionen werden auf den Plätzen ausharren, bis wir Präsident Mohammed Mursi auf unseren Schultern ins Amt zurücktragen“, rief er der jubelnden Menge zu und forderte die Armee auf, in ihre Kasernen zurückzukehren. Unklar ist, wie Badie zu dem Versammlungsort gelangen konnte, nachdem die Militärführung am Vortrag behauptet hatte, man habe ihn in seinem Privathaus in Marsa Matroush am Mittelmeer festgenommen.

Die Führung der „Nationalen Rettungsfront“, der Dachverband der Opposition, trommelte unter dem Motto „Rettet die Revolution vom 30. Juni“ zehntausende Anhänger auf dem Tahrir-Platz zusammen. Die Armeeführung ließ den ganzen Abend Hubschrauber über der Innenstadt kreisen. Auf dem Sinai griffen Bewaffnete mehrere Kontrollpunkte der Streitkräfte mit Gewehren und Panzerfäusten an. Zwei Soldaten starben, als sie von Attentätern auf einem Motorrad unter Feuer genommen wurden. Beschossen wurde auch der Flughafen von El-Arish im Norden der Halbinsel.

Derweil löste der am Donnerstag vereidigte Interim-Präsident Adly Mansour in seinem ersten Dekret den Shura-Rat auf, das bisherige Übergangsparlament, in dem Muslimbrüder und Salafisten eine Zweidrittel-Mehrheit hatten. Nach Angaben aus Justizkreisen soll der unter Arrest gestellte Präsident Mohammed Mursi bereits nächste Woche vor einem Untersuchungsrichter erscheinen. Ihm wird „Beleidigung der Justiz“ vorgeworfen. Die Vereinigten Staaten und die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, forderten die Armee zur Zurückhaltung auf. „Es darf keine Gewalt mehr geben, keine willkürlichen Verhaftungen, keine illegalen Vergeltungsakte“, sagte Pillay. Sie verlangte auch eine Untersuchung der organisierten sexuellen Übergriffe auf weibliche Demonstranten auf dem Tahrir-Platz. Ägypten müsse sich zu einer toleranten Gesellschaft entwickeln, die auf den Menschenrechten und dem Rechtsstaat beruhe, sagte sie. Der Sprecher der Muslimbruderschaft, Gehad el-Haddad, spottete dagegen im Sender „Al Jazeera“. „Der Polizeistaat ist wieder da. Dieselben Gesichter, die nach dem Sturz von Hosni Mubarak rausgeschmissen wurden, sitzen jetzt wieder als Politexperten in den Talkshows“, sagte er.

In einer Erklärung in der Nacht zu Freitag hatte der Oberste Militärrat die Ägypter aufgerufen, Ruhe zu bewahren und ihr Recht auf Demonstrationen nicht zu übertreiben. Man werde keine Racheakte und Angriffe auf Parteibüros oder öffentliche Gebäude dulden. Anderenfalls bestehe die Gefahr, dass die Gesellschaft in einen „endlosen Kreislauf der Gewalt“ verfalle, hieß es auf der Facebook-Seite der Streitkräfte.

Nach den Angriffen von Islamisten auf Sicherheitskräfte hat die ägyptische Armee den Notstand über die Provinzen Süd-Sinai und Suez verhängt.
Nach den Angriffen von Islamisten auf Sicherheitskräfte hat die ägyptische Armee den Notstand über die Provinzen Süd-Sinai und Suez verhängt.

© dpa

Die Muslimbruderschaft rief ihre Mitglieder auf, keine Gewalttaten anzuzetteln und friedlich zu demonstrieren. Sie warnte gleichzeitig davor, dass radikale Islamisten aus Protest gegen den Sturz von Mursi zur Gewalt greifen könnten. In der Nacht zu Freitag war es auf dem Ennahda-Platz vor der Kairoer Universität erneut zu Schießereien und Schlägereien gekommen. Auch im Heimatort Zagazig von Ex-Präsident Mursi, wo dessen Privathaus steht, kam es zu Krawallen. Die meisten Geschäftsleute hielten ihre Läden aus Angst vor Plünderungen geschlossen.

Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei, der als künftiger Übergangspremier gehandelt wird, rechtfertigte gegenüber der BBC das Eingreifen des Militärs. Die Alternative wäre Bürgerkrieg gewesen, sagte er. Ägypten habe für seine demokratische Entwicklung inzwischen zweieinhalb Jahre verloren. Baradei rechtfertigte auch die Festnahme führender Muslimbrüder und die Abschaltung einer Reihe islamistischer Fernsehkanäle. Derweil schloss die Afrikanische Union (AU) Ägypten vorerst als Mitglied aus. Der Machtwechsel in Kairo „entspreche nicht der Verfassung Ägyptens“, lautete die Begründung des AU-Sicherheitsrates in Addis Abeba.

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