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Politik: „Mein Angebot ist Gauck“

Joachim Gauck über die Sehnsucht nach glaubwürdigen Politikern, die Begeisterung über seine Kandidatur – und Deutsche in Afghanistan

Herr Gauck, bei Ihrer Vorstellung als Präsidentschaftskandidat von SPD und Grünen trugen Sie einen Orden. Was wollten Sie damit ausdrücken?

Ich bin zu meiner Freude von zwei Bundespräsidenten ausgezeichnet worden. Von Roman Herzog erhielt ich das Bundesverdienstkreuz erster Klasse für mein Wirken im Umbruchjahr 1989. Und beim Ausscheiden aus dem Amt des Stasi-Beauftragten im Jahr 2000 hat mir Johannes Rau das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern verliehen. Weil der Bürger Gauck jetzt mit der Präsidentschaftskandidatur eine große Aufgabe angetragen bekam, wollte ich signalisieren: Ich bin Teil dieses Landes und dieser Demokratie und dankbar für das, was ich erleben durfte.

Sie befinden sich nun in einer paradoxen Lage. Ausgerufen haben Sie zwei Parteien, die ihnen zuletzt eher fernstanden. Beide wollen mit der Kandidatur Kanzlerin Angela Merkel schaden, der Sie nahestehen. Treibt Sie das nicht um?

Manche stilisieren die Entscheidung zu einer Art „Showdown" zwischen mir und der Bundeskanzlerin. Das ist für mich schrecklich. Es ist aber ganz und gar nicht meine Absicht gewesen und ist es immer noch nicht, mit meiner Kandidatur der Bundeskanzlerin Schaden zuzufügen. Ich habe ihren Weg an die Spitze der Macht  mit hoher Anerkennung und Freude verfolgt. Es geht mir nicht um einen parteipolitischen Coup und schon gar nicht um eine persönliche Auseinandersetzung.

Herr Gauck, Sie sind mit ungeheuren, sehr emotionalen Erwartungen konfrontiert. Berührt Sie das?

Natürlich berührt mich das und führt zu einer ganz merkwürdigen Mischung von Gefühlen: Erstaunen, Freude, aber auch Erschrecken. Menschen, die sich bislang wenig für Politik begeistert haben, verabreden sich im Internet und reden über meine Kandidatur. Auch andere, die sich auch auf ganz hergebrachte Weise zu Wort melden und mir ihre Unterstützung anbieten, sehnen sich nach einem Land, an das sie glauben können. Sie sehnen sich nach unbeschädigten Institutionen. Sie wollen ihren Politikern wieder trauen können. An meiner Person macht sich vieles an Projektionen fest. Aber es ist klar, dass weder ich noch irgendeine einzelne  Person all diese Erwartungen erfüllen kann.  

Bundespräsident Horst Köhler ist über ein Interview zu Afghanistan gestürzt. Hatte er recht mit seinem Urteil, dass wir über diesen Bundeswehreinsatz offener diskutieren müssen?

Wir müssen vor allem offener darüber debattieren. Dies ist das Wichtigste. Ich wünsche mir mehr Rückhalt für den Afghanistaneinsatz, denn er ist aus meiner Sicht richtig und notwendig. Wir sind nicht in ein Land gegangen wie frühere deutsche Armeen, um fremden Völkern die deutsche Wesensart aufzuzwingen und ihnen Ressourcen zu rauben. Wir sind dort, weil die Vereinten Nationen in Afghanistan den Kampf gegen den internationalen Terrorismus führen. Verbunden mit dem militärischen Einsatz sorgen die deutschen Soldaten dafür, dass auch die Menschen in Afghanistan in Sicherheit und Würde leben können. Die Soldaten der Bundeswehr kämpfen also nicht für egoistische oder nur nationale Interessen. 

Verteidigen wir am Hindukusch auch unseren Wohlstand?

Nein. Wir gefährden unseren Wohlstand dort eher.  Der Einsatz bringt keine wirtschaftlichen Vorteile, er ist mit erheblichen, allerdings aus meiner Sicht auch notwendigen Anstrengungen verbunden.

Die Linkspartei wirft Ihnen vor, Sie seien für den Irakkrieg gewesen. Stimmt das?

Nein, das stimmt nicht. Ich habe damals gesagt, dass ich mich als ehemaliger Bewohner einer Diktatur natürlich über jeden Diktator freue, der entmachtet wird. Aber ich bin auch Anhänger des Rechtsstaats und hätte als Abgeordneter keine Zustimmung zum Krieg geben können. Es fehlte ihm die Legitimation der Vereinten Nationen, die beim Afghanistaneinsatz fraglos gegeben ist.

Die Öffentlichkeit kennt Sie als Herr der Stasi-Akten. Darf sich ein gesamtdeutscher Präsident auf das Thema der Vergangenheit der DDR beschränken?

Wer weiterhin glaubt, ich hätte nur ein politisches Thema, der irrt. Ich hatte als Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde einen öffentlichen Auftrag. Aber das hatte wenig mit meinen Neigungen zu tun. Ich habe mich  nie für Geheimdienste und Spionage interessiert. In den zehn Jahren seit dem Ende meiner Amtszeit habe ich nur noch äußerst selten einen Vortrag zur Stasi gehalten. Stattdessen habe ich über die ostdeutschen Erfahrung der Ohnmacht in einer Diktatur geredet, und ich habe gefragt: Gibt es jetzt nicht auch Ohnmacht? Ein  großer Teil der Bevölkerung nimmt ja leider überhaupt nicht mehr am politischen Leben teil, versucht auch gar nicht mehr mitzugestalten. Das trifft umso mehr in einer Zeit zu, in der sich die Menschen durch die großen nationalen und globalen Krisen verunsichert oder gar überfordert sehen.  Ich sehe nicht, dass diese Fragen  rückwärtsgewandt wären, im Gegenteil: Die Freiheit als  Verantwortung ist eine Debatte, die für die Gegenwart, besonders aber für die Zukunft unseres Gemeinwesens von höchster Bedeutung ist.

Treibt Sie die soziale Spaltung der Gesellschaft nicht um?

Ich stehe zu diesem Land, das aus Tradition und per Verfassung nicht nur den Wohlstand, sondern genauso die Wohlfahrt kennt. Aber die Debatte darüber hat populistische, mitunter sogar demagogische Züge angenommen. Wenn eine bestimmte politische Gruppierung sagt, Hartz IV sei Armut per Gesetz, dann schauen wir uns doch mal andere Länder an und fragen, wo ein ähnlich ausgebauter Sozialstaat existiert wie bei uns. Da kann man lange suchen. Der Sozialstaat ist doch nicht plattgemacht.

Die Regierung von Angela Merkel hat vor einer Woche ein im Umfang beispielloses Sparpaket verabschiedet, das heftig kritisiert wird, weil es Arme belastet und Vermögende schont. Hat das Paket eine soziale Schieflage?

Ich werde keine Zensuren für die  Regierungspolitik von Schwarz-Gelb verteilen. Aber ich scheue mich nicht davor, auch Stellung zu beziehen. Es war richtig, die mit den sozialen Sicherungssystemen verbundenen Kosten, die den Hauptteil des Budgets des Bundes  ausmachen, unter Kontrolle zu bekommen. Das ist verantwortlich und keine Hasardeurspolitik. Die  Regierung muss allerdings wissen, dass sie damit den Betroffenen eine echte Lebensbelastung aufbürdet. Sie muss also zwingend darauf achten, dass sie jene nicht aus der Verantwortung entlässt,  für die ein Sparbeitrag nur zu einer maßvollen Einschränkung ihres Lebens führen würde. Diese sind überwiegend sogar bereit, Lasten zu schultern.

Die Regierung argumentiert, Steuererhöhungen würden die Konjunktur abwürgen.

Ich kenne dieses bedenkenswerte Argument. Allerdings gehört zu unserer Form der  Marktwirtschaft auch der soziale Ausgleich. Ich wäre immer dagegen, einen Staatsdirigismus zu schaffen, der ein Primat der Politik über die Wirtschaft schafft. Wirtschaft braucht Freiheit und die Politik soll lediglich den Ordnungsrahmen setzen. Wir werden nicht den Sport abschaffen, weil es Athleten gibt, die grobe Fouls begehen oder dopen, sondern wir müssen Regeln schaffen. Wer also aus dieser Krise die Schlussfolgerung zieht, dass die Wirtschaft eine Art strenger Zähmung braucht, dem widerspreche ich. Sie braucht verbindliche  Regeln, die Falschspielern das Leben schwer machen, und sie braucht für ihre gesellschaftliche Legitimation die Verpflichtung zum sozialen Ausgleich.

Einmischen ist die Botschaft der ostdeutschen Bürgerbewegung, der Sie entstammen. Wollen Sie Präsident einer gesamtdeutschen Bürgerbewegung werden?

Sollte ich in das Amt des Bundespräsidenten gewählt werden, möchte ich Menschen ermutigen und zu eigenverantwortlichem Handeln ermuntern. Politiker sollten denen, die derzeit keine Politik machen, mehr Raum für Begegnung geben.  Unsere Politiker brauchen das Urteil der Bevölkerung nicht zu fürchten. Sie sind keine wilhelminischen Eroberer, die in Afghanistan einrücken. Sie wollen  mit den Hartz-IV-Bestimmungen keine Armut per Gesetz einführen. Und auch ihr Sparpaket beabsichtigt keinen sozialpolitischen Kahlschlag. Wenn verantwortungsbewusste Politiker  auf verantwortungsbereite Bürger zugehen, ist vieles vermittelbar und vielleicht sogar durchsetzbar. Nichts ist schlimmer als eine Entwicklung, in der die Regierenden sich fürchten, den Menschen bittere Wahrheiten zu sagen und die Bürger sich fürchten, dass ihre Sorgen und Meinungen nicht gehört werden, so dass ihr Ohnmachtsgefühl noch verstärkt wird. Wo Kommunikationsstörungen herrschen, findet sich Raum für solche, die mit der Angst Geschäfte machen und  mit solcher Angst Wähler zu ködern versuchen.

Als Präsidentschaftskandidat der Herzen sind Sie gewiss dafür, künftig das Staatsoberhaupt direkt zu wählen?

Das wäre eine schöne Vorstellung für den Bürgerrechtler Gauck. Der Rechtsstaatler Gauck jedoch sieht Probleme. Die Väter des Grundgesetzes haben dem Präsidenten nur sehr begrenzte Möglichkeiten der Einflussnahme gegeben. Um eine Direktwahl zu legitimieren, müsste man diesen Katalog erweitern. Das allerdings würde eine Konkurrenz zwischen der ebenfalls durch Wahlen legitimierten Regierung und dem dann mächtigeren Staatsoberhaupt schaffen. Dies, glaube ich, würde dem Land nicht guttun. Außerdem birgt eine Direktwahl immer auch die Gefahr  des Populismus in sich. Diskussionswürdig bleibt die Frage dennoch.  

Um am 30. Juni gewählt zu werden, brauchen Sie die Stimmen der Linkspartei. Welches Angebot machen Sie den Genossen?

Das Angebot ist Gauck. Ich stehe für eine bürgerrechtliche Haltung, die Demokratie gestaltet und eigenverantwortliches Handeln unterstützt, jeder Form der Diktatur hingegen wehrt und vor Entmündigung warnt.

Werden Sie eine Wahl annehmen, die mit den Stimmen der Linken zustande gekommen ist?

Zunächst einmal geht es jetzt darum, die  Lagergrenzen zu überwinden – ich hoffe auf Stimmen aus allen demokratischen Parteien. Den Satz „Ich nehme die Wahl nicht an“ werde ich jedenfalls nicht sagen.

Sollten Sie gewählt werden, heißt das, Angela Merkel konnte für ihren Kandidaten keine Mehrheit finden. Das bedeutet sehr wahrscheinlich das Ende ihrer Kanzlerschaft. Gauck oder Merkel – bedrückt Sie die Aussicht auf dieses Szenario?

Der Gedanke hat mich beschäftigt und hat mir auch zu schaffen gemacht. Aber ich kenne Angela Merkel hinreichend. Für mich gehört sie zu den Politikern, die auch in einer Krise die neuen Möglichkeiten erkennen. Deshalb bin ich mir sicher: Die Wahl des Bundespräsidenten Joachim Gauck wäre keineswegs automatisch das Ende der Ära Merkel.

Würden Sie Ihre Kandidatur zurückziehen, um Merkels Kanzlerschaft zu schützen?

Nein. Wer mich kennt, weiß, dass das nicht passieren wird.

Das Gespräch führten Hans Monath, Hermann Rudolph und Antje Sirleschtov. Das Foto machte Kai-Uwe Heinrich.

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