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Höre, Basis. Angela Merkel am Samstag bei der CDU-Kreisvorsitzendenkonferenz in Berlin. Sie scheute keinen Vergleich, auch den mit Ludwig Erhard nicht.

© dapd

Update

Mein Ausstieg ist der beste: Merkel verklärt ihre Atomwende zur historischen Großtat

Angela Merkel definiert ihre neue Energiepolitik als Fortentwicklung des bloßen Ausstiegskonsenses von Rot-Grün. Jetzt drohen der Bundesregierung auch noch Klagen der großen Stromkonzerne gegen das Gesetz zum Atomausstieg.

Von Antje Sirleschtov

Als die Kanzlerin Angela Merkel nach der Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima Anfang März acht deutsche Atommeiler stilllegte und mit einem Moratorium die deutsche Energiewende einläutete, war der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel sofort klar, wo ihr größtes Problem liegen wird: Nämlich ihrer eigenen Partei diesen atemberaubenden Kurswechsel erklären zu können. Eine Ethikkommission unter Einbeziehung der Kirchen und unter Leitung des ehemaligen christdemokratischen Umweltminister Klaus Töpfer hat in der Zwischenzeit Merkels neuen Kurs debattiert und bestätigt, Arbeitsgruppen in Partei und Fraktion haben dafür gesorgt, dass die Atombefürworter in der CDU einen Resonanzraum bekamen, und zahllose Argumentationspapiere wurden herumgereicht.

Doch das Glaubwürdigkeitsproblem der Angela Merkel ist noch immer da. Und sie könnte nun noch ein weiteres Problem bekommen, denn auf die Bundesregierung kommen einem Bericht zufolge Verfassungsklagen der großen Stromkonzerne gegen das Gesetz zum Atomausstieg zu. Die Konzerne bereiteten Klagen vor Deutschlands höchstem Gericht vor, um milliardenschwere Schadenersatzforderungen durchzusetzen, berichtete der „Spiegel“ am Sonntag.

Die Konzerne argumentieren dem „Spiegel“ zufolge, dass die beim rot-grünen Ausstiegsbeschluss vor zehn Jahren zugestandenen Reststrommengen für Akw ihr Eigentum seien und damit durch das Eigentumsrecht des Grundgesetzes geschützt seien. In dieses Eigentumsrecht greife der Staat aber mit dem geplanten Ausstiegsgesetz massiv ein, ohne bislang „stringente Gründe dafür zu liefern“, heißt es demnach in einem im Auftrag der Betreiber erstellten Rechtsgutachten. Somit stünde den Konzernen Schadenersatz zu - und der liege nach Schätzungen der Konzerne im zweistelligen Milliardenbereich.

Angela Merkel verteidigte den Ausstieg gegen Kritik aus der eigenen Partei. Am Samstag trafen sich in der CDU-Zentrale in Berlin rund 150 Kreisvorsitzende ihrer Partei. Alles Leute, die den Mitgliedern zu Hause und den Leuten auf der Straße die großen politischen Linien ihrer Parteichefin erklären müssen. Doch „wie soll einer verstehen“, seufzt einer von ihnen, „dass wir im letzten Herbst die Verlängerung der Laufzeiten der Atomreaktoren bis 2050 als alternativlos bezeichnet haben und jetzt, sechs Monate später, mit der gleichen Überzeugung eine solche Alternative gefunden haben und nun 2022 aussteigen“? Eine Frage, die wohl auch für die meisten CDU-Mitglieder weniger etwas mit ihrer persönlichen Haltung zur Atomkraft zu tun hat.

Schließlich sieht längst auch in der CDU die Mehrheit Kernenergie als Auslaufmodell, weshalb Merkel am Samstag ja auch feststellte, dass „die Kernenergie nicht unser Markenzeichen ist“. Man darf daher vermuten, dass Merkels Kurswende also in der Sache verstanden und sogar begrüßt wird. Doch zwischen dem reinen Verstehen und der Überzeugung eines Parteimitgliedes, für die richtige Sache einzutreten, gibt es eben noch einen Unterschied. Und der liegt in der Wahrhaftigkeit – einer wesentlichen Voraussetzung, die erfüllt sein muss, wenn man eine ganze Partei von der Richtigkeit seiner politischen Ziele überzeugen will.

Warum sie nicht bekennen könne, dass sie im Herbst der Entscheidungen 2010 „einen Fehler gemacht“ hat, fragt am Samstag ein CDU-Mann seine Vorsitzende. Doch die will sich darauf nicht einlassen. „Ich werde es immer mit den Ereignissen in Fukushima begründen“, sagt Merkel apodiktisch. Vielleicht können ja CDU-Mitglieder Fehler eingestehen, eine Regierungschefin aber kann es nicht. Sie habe die Laufzeiten im letzten Herbst „aus Überzeugung“ verlängert.

Und jetzt? Jetzt will Merkel die spürbare Not ihrer Partei in eine Tugend umwandeln. Schwamm drüber und nach vorne sehen. Sie definiert ihre neue Energiepolitik als Fortentwicklung des bloßen Ausstiegskonsenses von Rot-Grün. Jene hatten zwar einen „Deal“ mit der Stromwirtschaft geschlossen, bis in die zwanziger Jahre des Jahrtausends aus der Kernenergie auszusteigen. Doch für Alternativen hätten sie nicht gesorgt.

Ihre Regierung dagegen baue keine „Luftschlösser“, sie ebne den Weg, durch neue Leitungs- und Speichermöglichkeiten und Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz eine ganze Industrienation ins Zeitalter der erneuerbaren Energien zu führen, ohne dabei Umweltschutz, Bezahlbarkeit von Strom und Versorgungssicherheit aufs Spiel zu setzen.

Exportchancen und neue Jobs sollen entstehen. Merkel will den „scheinbar unlösbaren Widerspruch zwischen Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit“ lösen und ruft ihren Parteigängern zu, aus der Kehrtwende eine „Erfolgsgeschichte“ zu machen, statt dem Gestern hinterherzunörgeln.

Sogar die Geschichte bemüht die CDU-Vorsitzende und verspricht, dabei sein zu können, wenn die CDU einen wahrhaft historischen Schritt tut. Zum zweiten Mal in der sechzigjährigen Geschichte der Bundesrepublik. Denn schon einmal sei das schier Unmögliche der CDU gelungen. Damals, als Ludwig Erhard mit der Sozialen Marktwirtschaft den bis dato ebenso unlösbar erscheinenden Widerspruch zwischen Kapital und den Arbeitnehmerinteressen gelöst hat. „Wer auf der Welt,“, sagt Merkel, „wenn nicht wir, kann das schaffen.“ Und wischt die Zweifel weg. Auch an Erhards Ideen habe seinerzeit nicht jeder glauben wollen. Sie jedenfalls gehe diesen Weg „aus tiefster Überzeugung“.

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