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Politik: Mein lieber Scholz

In der SPD wächst der Unmut über die Regierungspolitik – und deren Vermittlung durch den Generalsekretär

Von

Von C. Böhme, H. Monath

und A. Sirleschtov

Als hilfreich wird der Kanzler die Wortmeldung der hessischen SPD-Chefin Andrea Ypsilanti kaum empfunden haben: Wenige Stunden vor dem Treffen des SPD-Vorsitzenden mit Bezirks- und Landeschefs am Donnerstag forderte die Hessin einen Kurswechsel in der Sozialpolitik und kritisierte die Gesundheitsreform. Die Stimmung an der Basis sei „nicht gut“. Für viele Unzufriedene in der Partei scheint ein Sündenbock gefunden: So häufen sich nun auch öffentlich die Attacken auf Generalsekretär Olaf Scholz. In Phasen großer Schwierigkeiten für die Partei müsse ein Generalsekretär mehr als nur Pressesprecher des Kanzleramtes sein, forderte der niedersächsische SPD-Chef Wolfgang Jüttner in der „Welt“ und fügte hinzu: „Das vermissen wir bei Herrn Scholz.“ Schröder sah sich bei dem Treffen am Donnerstagabend gezwungen, Druck von Scholz zu nehmen. Er wolle Scholz auf dem Parteitag im November wieder nominieren, kündigte der Kanzler an.

Auch Vaterfiguren der SPD sprechen von Fehlern der Parteispitze und der Regierung: „Sie haben nicht vermitteln können, dass sie die Sozialsysteme zukunftstauglich machen wollen“, sagte Erhard Eppler dem Tagesspiegel. Nötig gewesen wäre Epplers Meinung nach Werbung für den Gedanken, dass Sozial- und Gesundheitspolitik auf demografische Veränderungen reagieren müssen. Dennoch hat Eppler Verständnis für die Lage der Partei: Mehr als hundert Jahre lang habe sie erfolgreich für den Ausbau des Sozialstaates gekämpft. Aber nun müsse die SPD eben der alternden Gesellschaft Rechnung tragen und diesen Sozialstaat umbauen, mit schmerzlichen Einschnitten. „Das verwirrt viele, zumal Stammwähler“, sagt Eppler.

Dabei könnte die Zitterpartie um die Koalitionsmehrheit beim Gesundheitskompromiss heute nur der Anfang sein: Auch in den kommenden Wochen wird es voraussichtlich immer wieder zu unkalkulierbaren Voten der Abgeordneten und auch der SPD-Regierungen der Länder kommen. Beispiel Vermittlungsausschuss: Ausgerechnet Schleswig-Holstein blieb am Mittwoch der Abstimmung um die kleine Handwerksreform von Wirtschaftsminister Clement (SPD) fern. Bitteres Ergebnis für die Regierung: Auch diese Reform wird nun zusammen mit der großen Handwerksnovelle in die Verhandlungsmasse im Vermittlungsverfahren um die Agenda 2010 zwischen Bundestag und Bundesrat geraten.

Das risikoreiche Verfahren macht es Bürgern und Unternehmern schwer, ihre Steuerbelastung im kommenden Jahr zu kalkulieren. Denn längst bricht auch in der SPD-Fraktion die Debatte über die Balance des Kabinettsbeschlusses zum Vorziehen der Steuerreform wieder auf. Mehr als einmal wurde in dieser Woche Unmut darüber laut, wie ungerecht es sei, den Spitzensteuersatz für Millionäre ein Jahr vorher als geplant zu senken und gleichzeitig den Pendlern die Entfernungspauschale zu kappen. „Warum nicht den Spitzensteuersatz von der Steuerreform ausnehmen?“, fragte ein Abgeordneter und lieferte gleich ein vermeintlich fiskalisches Argument: Würden Besserverdiener erst 2005 entlastet, stünden den öffentlichen Haushalten 2004 rund 3,7 Milliarden Euro mehr zur Verfügung. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck kündigte an, der Kürzung der Entfernungspauschale im Bundesrat nicht zustimmen zu wollen. Er plädierte für eine Reduzierung der allgemeinen Werbungskostenpauschale.

Mit Spannung sieht auch der grüne Koalitionspartner den wachsenden Unmut in der SPD. Etwa bei der Rente: Sogar SPD-Fraktionsgeschäftsführer Wilhelm Schmidt räumte am Mittwoch ein, dass seine Abgeordneten eher Rentenministerin Ulla Schmidt (SPD) stützten, wenn sie den von Finanzminister Hans Eichel (SPD) eingeforderten Sparbeitrag beim Rentenzuschuss des Bundes von zwei Milliarden Euro verweigere. Offensichtlich würde die Mehrheit der Fraktion den Rentnern eine Nullrunde ersparen und auf eine Kürzung der Schwankungsreserve verzichten. „Wir legen auf die Haushaltseinsparungen und die Stabilisierung des Beitragssatzes höchsten Wert“, warnte die Fraktionsvizechefin der Grünen, Thea Dückert, ihre Kollegen von der SPD am Donnerstag vorsorglich.

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