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Politik: "Meine Partei bietet ein beunruhigendes Bild" - eine Analyse des ehemaligen Vorsitzenden

in dreiviertel Jahr nach dem deutlichen Wahlsieg im September 1998 bietet meine Partei ein beunruhigendes Bild. Scharfe Kontroversen innerhalb der Partei aber auch mit sozialen Gruppen, die früher zum Wahlergebnis beigetragen haben, prägen dieses Bild.

in dreiviertel Jahr nach dem deutlichen Wahlsieg im September 1998 bietet meine Partei ein beunruhigendes Bild. Scharfe Kontroversen innerhalb der Partei aber auch mit sozialen Gruppen, die früher zum Wahlergebnis beigetragen haben, prägen dieses Bild. Positive Leistungen wie die bereits wirksam gewordenen Steuerentlastungen und Familienhilfen, die konstruktive Handhabung der EU-Präsidentschaft und die Art des Umgangs mit der Herausforderung im Kosovo sind demgegenüber ebenso verblasst wie die Tatsache, dass die abgelöste Regierung der jetzigen schwere Hypotheken hinterlassen hat. Vielmehr gelang es der Union immer wieder, aus der konkreten Situation ohne größere eigene Anstrengungen Vorteile zu ziehen. Das Ergebnis der Europawahlen und sinkende Umfrage-Werte kennzeichnen diese Entwicklung.

Einige der erwähnten Erscheinungen gehören zum üblichen politischen Auf und Ab in einer Demokratie. Auch in den Zeiten Willy Brandts und Helmut Schmidts und ebenso während der Kohlschen Kanzlerschaft gab es vergleichbare Rückschläge. Und innerparteiliche Diskussionen über Themen von Belang können die Glaubwürdigkeit und Attraktion einer politischen Gemeinschaft sogar steigern. So war es beispielsweise während der engagierten Auseinandersetzungen in der Zeit nach 1968, die den großen Wahlsieg Willy Brandts im Jahre 1972 eher förderten als erschwerten. Aber es wäre verfehlt, sich mit solchen Erwägungen zu beruhigen. Vielmehr gibt es mindestens zwei Gründe, aus denen ich über die gegenwärtige Lage meiner Partei ernsthaft besorgt bin.

Da ist einmal die unselige Verquickung des Blair-Schröder-Papiers mit dem so genannten Sparpaket. Sie erweckt den Eindruck, die Vorlage sei nicht die Folge eines unabweisbaren finanziellen Bedürfnisses, sondern Ausfluss einer neuen, sich dem Neo-Liberalismus nähernden sozialdemokratischen Programmatik. Dabei wird die Anstrengung Hans Eichels einfach vom katastrophalen Anstieg der Verschuldung vor allem zwischen 1982 und 1998 erzwungen.

Das in London bekannt gegebene Papier sollte hingegen eine Diskussion darüber anstoßen, ob und in welchen Punkten das Berliner Grundsatzprogramm von 1989 der Erneuerung bedarf. Ob es dafür angesichts seiner Allgemeinheit und Unvollständigkeit und einem Übermaß an Selbstkritik, die offenbar eher britische als deutsche Verhältnisse im Auge hatte, besonders geeignet war, darf füglich bezweifelt werden. Auch war es nicht der Weisheit letzter Schluss, die Führung der französischen Sozialdemokratie nicht zu beteiligen. Aber die nach der Bekundung des Parteivorsitzenden gewollte Programmdebatte hat es jedenfalls ausgelöst. Dieser Debatte sollte auf die wesentlichen Fragen konzentriert werden: auf den Zusammenhalt der Gesellschaft, den Grundwert der sozialen Gerechtigkeit und die Prärogative der demokratisch legitimierten Politik angesichts der Globalisierung.

Unabhängig von dieser längerfristigen Debatte muss jetzt die Eichelsche Initiative realisiert werden. Das schließt einzelne Änderungen und Ergänzungen - etwa in Gestalt höherer Erbschaftsteuern bei sehr großen Privatvermögen - und auch Gespräche mit der Opposition nicht aus. Aber die Gesamtsumme der Einsparungen muss - notfalls mit zusammengebissenen Zähnen - erreicht werden. Sollte das misslingen, würde dem Gemeinwohl aber auch dem Vertrauen in die Regierungsfähigkeit der SPD schweren Schaden zugefügt. Außerdem ist Sparen keineswegs so unpopulär, wie manche meinen.

Zum Anderen befürchte ich eine schlimme Konfrontation zwischen dem ehemaligen und dem heutigen Parteivorsitzenden. Schon die Art, in der der frühere Vorsitzende sein Amt niedergelegt hat, ließ nichts Gutes ahnen. Jetzt wird gemeldet, dass er einen Text fertiggestellt hat, der Interessenten wohl nur deswegen hohe Angebote wert war, weil sie darin - kaum grundlos - eine scharfe Auseinandersetzung mit seinem Nachfolger vermuten. Es mag durchaus sein, dass manche Kritik in der Sache plausibel erscheint, aber ein offener Schlagabtausch zwischen Vorgänger und Nachfolger im Amt des Vorsitzenden ist wahrlich das Letzte, was ich meiner Partei gegenwärtig wünsche. Und wer als gewählter Vorsitzender nicht für seine Positionen kämpfen wollte, sondern lieber zurücktrat, der sollte Versäumtes nicht auf diesem Wege nachholen.

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