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Eine nach Kämpfen zwischen Rebellen und syrischer Armee zerstörte Straße in der Stadt Deir al-Zor

© Reuters

Meinungen zum Militäreinsatz: Syrien und seine verstörten Nachbarstaaten

Die Haltung der arabischen Staaten zu Syrien bleibt zutiefst gespalten – auch nach Obamas Ankündigung. Was treibt die Länder in der Region an.

Auch sie wurden von den sich überschlagenden Ereignissen in Washington überrascht. Nachdem der amerikanische Präsident Barack Obama am Samstag angekündigt hatte, den Kongress um Zustimmung für einen Militäreinsatz gegen Syrien zu bitten, zogen noch in der Nacht die Außenminister der Arabischen Liga ihre Dringlichkeitssitzung zu Syrien um zwei Tage vor und trafen sich bereits am Sonntag in Kairo. Erst vergangene Woche hatte der notorisch zerstrittene Staatenbund in seltener Einmütigkeit das Regime von Baschar al Assad für die Giftgasangriffe „voll verantwortlich“ gemacht und vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen „abschreckende Maßnahmen“ gefordert „gegen alle, die dieses widerliche Verbrechen mit international geächteten Waffen begangen haben“.

Wie diese Abschreckung jedoch aussehen soll, das ließen die Diplomaten auch am Sonntag offen. Darüber sind sich die 22 arabischen Nationen genauso uneins wie die übrige Welt. Einzig die Mitgliedschaft Syriens in dem arabischen Bündnis ist seit anderthalb Jahren suspendiert, den Platz von Damaskus nimmt vorübergehend der Exil-Dachverband der syrischen Opposition ein.

Im Blick auf mögliche westliche Militärschläge gegen Syrien verläuft im arabischen Lager die Bruchlinie zwischen den Golf- und den nordafrikanischen Staaten an der Mittelmeerküste. Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate haben nur ein Ziel vor Augen: den Sturz von Baschar al Assad. Dies würde ihren regionalen Hauptkontrahenten Iran schwächen und dessen Einfluss auf die schiitischen Araber schmälern, so das strategische Kalkül.

Und so wären die gekrönten Häupter am Golf mit Cruise Missiles als Vergeltung für den Giftgaseinsatz durchaus einverstanden, auch wenn sie dies niemals dezidiert fordern oder öffentlich gutheißen würden. Abgesehen davon sind sie sowieso bei jeder US-Militäraktion mit von der Partie – wenn auch nur indirekt. In ihren Ländern befinden sich nämlich die wichtigsten amerikanischen Militärbasen des Nahen Ostens, die regionale US-Kommandozentrale Centcom in Doha, die Einsätze in zwanzig Länder des Nahen und Mittleren Ostens dirigieren kann, sowie der Marinestützpunkt der 5. US-Flotte in Bahrain.

Die Mittelmeer-Anrainer hingegen, angefangen von Marokko über Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten bis zum Libanon und Jordanien, sind strikt gegen ein militärisches Eingreifen von außen. Syriens Nachbarn Libanon, Jordanien und Irak fürchten weitere Flüchtlingswellen. Schon jetzt haben sich in den drei Staaten mehr als zwei Millionen Syrer vor dem Massenmorden in ihrer Heimat in Sicherheit gebracht.

Besonders Ägypten, das unter der Herrschaft von Präsident Mohammed Mursi eher die aggressive saudische Syrienpolitik stützte, hat sich unter seiner neuen Führung auf die Seite der Warner und Bremser geschlagen. Die jetzigen Machthaber in Kairo verdächtigen die sunnitischen Islamisten in Syrien der ideologischen Komplizenschaft mit den entmachteten Muslimbrüdern am Nil, die nun pauschal als Terroristen verunglimpft werden. Werde Assad gestürzt, käme wohl ein Regime an die Macht, das noch islamistischer ist als das, was in Ägypten gerade abgesetzt wurde, argumentiert man im ägyptischen Außenministerium. Und so schloss Kairo vor sechs Wochen bereits per plötzlicher Visapflicht die Tore für weitere Flüchtlinge. Zugleich sehen sich die 200 000 Syrer, die es vorher visafrei bis an den Nil geschafft hatten, als fünfte Kolonne der Muslimbrüder verdächtigt und schikaniert.

„Die arabischen Nationen sind schwach und völlig absorbiert von ihren eigenen Problemen. Manchen ist die Lage in Syrien auch ziemlich egal“, meint Abdelkhaleq Abdallah, Politikwissenschaftler an der Universität der Vereinigten Arabischen Emirate in Abu Dhabi. Er sieht die Haltung der Araber als widersprüchlich und zwiespältig. Einerseits seien die Menschen wütend auf die internationale Gemeinschaft, weil sie das syrische Volk im Stich gelassen habe. Andererseits wären sie total empört, sollte wieder ein arabisches Land ohne Autorisierung der UN militärisch attackiert werden.

Denn vor allem durch das Desaster der US-Invasion in den Irak 2003 ist die emotionale Aversion in der arabischen Welt gegen jede Form westlicher Einmischung extrem gewachsen, selbst wenn es dafür wichtige humanitäre Gründe gäbe. Wie Umfragen zeigen, begegnet die große Mehrheit der Menschen den USA mit tiefem Misstrauen. Deren Aktionen, so sind sie überzeugt, seien einzig vom eigenen Interesse oder vom Interesse Israels geleitet. Und so erließ Al Azhar, die höchste sunnitische Lehranstalt der Region, am Sonntag in Kairo dann auch eine „kategorische Zurückweisung und Verurteilung der Entscheidung des amerikanischen Präsidenten, mit Militärschlägen Präsident Baschar al Assad für den angeblichen Giftgasbeschuss zu bestrafen“. Dies wäre „ein Angriff gegen die gesamte arabische und islamische Welt“, urteilte Al Azhar.

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