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Beleidigt-Sein als politische Strategie: Die neuen Konservativen - hier die CSU Führungsspitze, hinten links CSU-Generalsekretär Markus Blume, mauern sich ein.

© AFP/Christof Stache

Meinungsfreiheit in Deutschland: Kommt raus aus der Schweigespiralen-Schmollecke!

Nichts dürfe man sagen in Deutschland, klagen die neuen Konservativen - und mauern sich selbst ein. Ein Kommentar zum kaputten Diskurs.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Anfang der Woche war es der CSU-Generalsekretär Markus Blume, der in einem Interview mit der „Welt“ den Lieblingstopos der neuen Konservativen wiederholte, den nämlich von den linken Meinungsunterdrückern und den konservativen Meinungsunterdrückten. „Der Populismus der Mitte“, sagte er, „versucht, eine Meinung zu verordnen, die sich auf moralische Alternativlosigkeit beruft.“ Und: „Durch Totschweigen oder Wegmoderieren wird man die großen Fragen des Landes nicht beantworten.“ Es ging um das Heimatministerium, die Frage, wie nah die CSU der AfD steht und, natürlich, die Migrationspolitik.

Es ist mittlerweile ein polit-psychologisches Phänomen: Selten waren Selbstmitleid und Selbstbewusstsein so eng politisch verschmolzen wie bei den neuen Konservativen. Alexander Dobrindt bediente das Narrativ, als er in einem Gastbeitrag Anfang des Jahres eine „konservative Revolution der Bürger“ gegen eine „linke Meinungsvorherrschaft“ forderte. Bei der AfD gehört es Refrain, ebenso wie bei konservativen Intellektuellen. Uwe Tellkamp, der bei einer Podiumsdiskussion kurz vor der Leipziger Buchmesse behauptet hatte, 95 Prozent aller Migranten, die nach Deutschland kommen, seien Wirtschaftsflüchtlinge, sprach von „Meinungskorridoren“. Ein konservativer Zirkel veröffentlichte daraufhin die „Erklärung 2018“, zwei Sätze nur. Einer davon: „Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“ Als herrsche Lebensgefahr.

Die neuen konservativen Jammerer hängen dem Faktischen hinterher: Die Debatte hat sich geöffnet

Die Jammerer hängen dem Faktischen hinterher: Die in der Tat einseitige Meinungsstimmung der Willkommenskultur-Monate 2015, sie hat sich längst gedreht. Der Diskurs in Deutschland ist nicht weniger heftig, aber offener und vielseitiger geworden. In der Welt, in der F.A.Z., auch im Spiegel wird konservativen Meinungsführern viel Platz eingeräumt. Wissenschaftler wie Ruud Koopmans, die empirisch fundiert auf die Probleme von Migration hinweisen, sind Stammgäste in Talkshows – ebenso wie AfD-Politiker. Rechtskonservative Autoren haben sich zudem längst eigene Plattformen, geschaffen. „Tichys Einblick“ liegt in Hochglanz am Bahnhofskiosk. Und die Politik, die auf mehr Sicherheit und strengere Einwanderungsregeln setzt, ist ihnen gefolgt. Jeder kann sich äußern, sagte kürzlich auch der konservative Literaturwissenschaftler Rüdiger Safranski im Interview mit dem "Spiegel". „Ich sage alles, was ich will, und keiner hindert mich daran.“

Muss man nur alles sagen dürfen - oder auch gehört werden?

Manche antworten darauf, das Sich-äußern-Können allein reiche nicht. Ulrich Greiner, Zeit-Journalist und Literaturkritiker, schreibt, es gehöre außerdem dazu, die Argumente des jeweils anderen auf ihre „Triftigkeit“ zu prüfen und einen „Vertrauensvorschuss“ zu gewähren. In Deutschland aber gerate jeder, der zum Beispiel den Begriff „Volk“ verwende, unter Verdacht. Doch lässt sich eben die historische Kontamination solcher Begriffe nicht einfach abstreifen. Rüdiger Safranski mag den Begriff „Volk“ anthropologisch verwenden. In der AfD wird die Kontamination gern mitgekauft. Zur Prüfung der „Triftigkeit“ gehört eben auch, zu prüfen, mit welcher Intention Begriffe verwenden werden. Diese öffentliche Prüfung bleibt die verdammte Pflicht der Deutschen.

Aber an Differenzierung besteht bei den neuen Konservativen ohnehin nur geringes Interesse. Der gegenrevolutionäre Habitus ist ihnen zum zentralen identitätsstiftenden Moment geworden, sowohl der Intellektuellen, als auch den Parteipolitikern der CSU. Ein echter oder imaginierter äußerer Feind – hier die vermeintliche linke Meinungsführerschaft – schweißt zusammen. Man muss sich weniger einig sein, wofür man ist, wenn man sich einig ist, wogegen man ist.

Die ständige Behauptung der Unterdrückung führt in die inhaltliche Selbstummauerung

Die ständige Behauptung der Unterdrückung führt aber auch in die inhaltliche Selbstummauerung, in eine Sektenhaftigkeit, in der das wohlige Gefühl des gemeinsamen Erduldens gesellschaftlichen Unrechts existenziell wird. Die meisten der Unterzeichner der „Gemeinsamen Erklärung“ treffen sich regelmäßig in einem solchen Selbstbestärkungskreis, einem konservativen Salon, zwei Mal im Jahr, wie die „Zeit“ berichtet. Solche Selbstverstärkerkreise gibt es selbstverständlich auch unter Linksliberalen. Nur: Es ist ziemlich absurd, sich einzumauern und dann über das Eingemauert-Sein zu klagen.

Und was macht das mit der Demokratie? Sie verliert ihre Debattenkultur. Denn eine Debatte, die von reziproken Maulkorbvorwürfen geprägt ist, ist keine. Der Diskurs dreht sich nur noch um den Diskurs. Die Sache stirbt auf der Metaebene. Den neuen Konservativen scheint das egal zu sein. Sie fühlen sich wohl in der Schweigespiralen-Schmollecke.

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