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Meisner-Äußerungen: Zentralrat verlangt schnelle Stellungnahme von katholischer Kirche

Im Fall der Predigt von Kardinal Meisner zu einer angeblich "entarteten Kunst" drängt der Zentralrat der Juden die Deutsche Bischofskonferenz zum Handeln. Während mehrere katholische Würdenträger bereits relativieren, will Meisner selbst seine Worte keineswegs zurücknehmen.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland verlangt von der katholischen Kirche eine Stellungnahme zur Äußerung Kardinal Joachim Meisners über angeblich "entartete" Kultur und den "Verlust der Mitte". "Das ist ein Thema, das die Kirche sehr schnell behandeln muss", sagte Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch beim Neujahrsempfang der Jüdischen Gemeinde in Duisburg. Sie sei überrascht, dass ein Mensch, der ein Vorbild sein sollte, so etwas äußere. "Das ist ein Begriff, den die Nationalsozialisten in Bezug auf jüdische Kunst und Kultur gebraucht haben", fügte Knobloch hinzu. Es bestehe die Gefahr, dass sich rechtsgerichtete junge Leute Meisners Wortwahl zum Vorbild nähmen. Wer so rede, brauche sich nicht wundern, wenn der "braune Ungeist" wieder salonfähig werde, so Knobloch weiter.

Der Kölner Erzbischof Meisner (73) hatte in einer Predigt gesagt: "Dort, wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kult im Ritualismus und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte." Meisners Wortwahl hatte einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Die katholische Deutsche Bischofskonferenz will sich nicht zu Meisners Aussage und den Reaktionen darauf äußern.

"Unabhängig vom Hagel der Kritik"

Bereits vor Knoblochs Forderung war aber der Medienbischof der Bischofskonferenz, Gebhard Fürst, von Meisner abgerückt. Es sei "nicht nachvollziehbar", bei der Frage nach Nähe oder Distanz zwischen Kunst und Religion den Begriff "entartet" zu verwenden, kritisierte der Rottenburger Bischof. Er sprach jedoch ausdrücklich für sich persönlich und nicht als Vorsitzender der Publizistischen Kommission der Bischofskonferenz. Ruhrbischof Felix Genn sagte der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" zu Meisners Äußerung: "Ich kann das Anliegen der Predigt verstehen, auch wenn ich nicht den besetzten Begriff gebraucht hätte."

Meisner, der inzwischen nach Rumänien reiste, nahm seine Äußerung nicht zurück. Es bleibe bei den Worten aus seiner Predigt vom Freitag - "unabhängig von dem Hagel der Kritik", sagte eine Sprecherin des Erzbistums.

Die Bezeichnung "entartet" ist untrennbar mit der Propaganda und Hetze der Nationalsozialisten verbunden. Sie hatten rund 16.000 moderne Kunstwerke - vor allem expressionistische und abstrakte Kunst - beschlagnahmt und zum Teil zerstört. Viele Künstler wurden von den Nazis verfolgt, mit Berufs- und Ausstellungsverbot belegt.

Meisner selbst nimmt nicht Stellung

Bischof Fürst sagte, man könne es Kunstschaffenden nicht verdenken, wenn sie sich durch Meisners Aussage diffamiert fühlten. Zwischen Religion und Kunst gebe es eine innere Nähe. In beidem bringe der Mensch seine Beziehung zur Transzendenz zum Ausdruck. Dieser Transzendenzbezug sei aber auch bei Künstlern und ihren Kunstwerken gegeben, die nicht ausdrücklich religiös oder gar christlich seien und sein wollten, sagte Fürst. Genn unterstützte dagegen Meisners Ansicht, dass Kunst ohne Gottesbezug weder herzlich noch vernünftig sei.

Meisner selbst nahm seit seiner Abreise nicht Stellung. Ein Sprecher des Kölner Erzbistums betonte, Meisner habe die gesamte Gesellschaft gemeint, die in einem "entgöttlichtem Zusammenleben" degeneriere. "Wenn der Kardinal geahnt hätte, was er mit dem Wort "entartet" auslöst, hätte er ein anderes genutzt - zum Beispiel "verkommt", meinte Sprecher Christoph Heckeley. Es seien keine Künstler oder Kunstwerke gemeint und keine Diffamierung beabsichtigt gewesen.

Der Bundesverband Bildender Künsterlinnen und Künstler (BKK) appellierte unterdessen an den Kardinal, sich von seiner Äußerung zu distanzieren. In einem vom BKK verbreiteten offenen Brief an Meisner heißt es, es sei wichtig, dass es den im Grundgesetz garantierten Freiraum für Kunst gibt. Wichtig sei aber auch, dass dieser Freiraum von den Menschen akzeptiert wird. Der Verband forderte den Kardinal "nachdrücklich auf, sich von Ihrer, wie wir hoffen, unbedachten Äußerung unverzüglich zu distanzieren".

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und einzelne Politiker hatten Meisners Äußerung als "indiskutabel" bezeichnet. Auch aus Kultur und Politik hagelte es empörte Stimmen. Der Publizist Ralph Giordano warf dem Erzbischof mangelndes Geschichtsbewusstsein vor. "So sensibilisiert ein großer Teil unserer Gesellschaft ist, wenn es um Termini des Nationalsozialismus geht, so unsensibel ist Kardinal Meisner", sagte er der dpa. (mit dpa, ddp)

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