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Memoiren: Fischers Kampf an zwei Fronten

Nur zwei Jahre brauchte Joschka Fischer nach der Abwahl der Regierung Schröder, bis er 2007 den ersten Band seiner Memoiren vorlegte. Doppelt so lang ließ er sich Zeit, um den zweiten Teil zu schreiben, der nun erscheint.

Von Hans Monath

Joschka Fischer leidet. Wenn der ehemalige Außenminister das stark von nationalen Ängs- ten bestimmte Vorgehen der deutschen Kanzlerin in der Euro-Krise oder das in seinen Augen völlig strategielose Reagieren der Europäischen Union (EU) auf den revolutionären Umbruch im Maghreb und im Nahen Osten verfolgt, kann er nur die Stirn in Falten legen und tadelnd den Kopf schütteln. Die deutsche Politik, so schreibt der Ex-Vizekanzler im zweiten Band seiner Erinnerungen an die rot-grüne Regierungszeit, will die Größe der Herausforderung und die Zeichen der Zeit nicht recht erkennen. Entweder die EU schreite voran in Richtung Vereinigte Staaten von Europa. Oder aber sie werde in einer Epoche, in der wegen des Aufstiegs Chinas die vierhundertjährige westlich-europäische Vorherrschaft in der Welt ihrem Ende entgegengehe, „in unterschiedliche Klientelstaaten der neuen und alten Weltmächte“ zerfallen.

Es ist ein großes Tableau, das Fischer im Schlusskapitel seines am Freitag erscheinenden Buches aufzieht. Nur zwei Jahre brauchte der heute 63-jährige Politikberater nach der Abwahl der Regierung Schröder, bis er 2007 den ersten Band seiner Memoiren vorlegte („Die rot-grünen Jahre“), der die Zeit bis zum 11. September 2001 beschrieb. Doppelt so lang, nämlich vier Jahre, ließ er sich nun Zeit, um den zweiten Teil zu schreiben. Beim Erscheinen des ersten Buchs war die Erinnerung an die rot-grüne Regierung noch unmittelbar. Heute amtiert schon die zweite Nachfolgeregierung. Das rot-grüne Kabinett ist Zeitgeschichte geworden.

Im Mittelpunkt des Werks steht der Kampf Schröders und Fischers gegen den unaufhaltsamen Irakkrieg George W. Bushs, dem sich Deutschland verweigerte. Fischers prägnant-frecher Satz gegenüber US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld auf der Sicherheitskonferenz in München Anfang 2003 liefert auch den Titel: „I am not convinced.“

Mit Freude am Detail schildert Fischer, dass er sich bei der heiklen Gratwanderung zwischen deutscher Bündnistreue auf der einen Seite, dem Widerstand gegen die Beteiligung an einem falschen und gefährlichen Krieg andererseits, gleich an zwei Fronten zu bewähren hatte. In wichtigen Fragen lag er nicht nur mit den neokonservativen Falken aus Bushs Regierung über Kreuz, sondern auch mit dem eigenen Kanzler.

Mit der dominierenden Rolle des Kanzlers hatte Fischer als Realpolitiker mit Sinn für klare Machtverhältnisse im Grunde keine Schwierigkeiten, wie er beteuert. Allerdings rettete der Zuwachs der Grünen die Koalition 2002 in die zweite Regierungszeit und daraus ergaben sich neue Ansprüche. Wo Schröders Entscheidungen in den Augen des Außenministers entweder zentrale deutsche Interessen gefährdeten oder sich über Grundüberzeugungen des grünen Koalitionspartners großzügig hinwegsetzten, kam es hinter verschlossenen Türen zum Krach, der Anfang 2003 sogar in gegenseitigen Rücktrittsdrohungen gipfelte. Der Flirt der SPD mit dem nationalen Pathos des „deutschen Wegs“, Schröders Lust an der offenen Konfrontation mit Washington und seine kategorische Festlegung auf ein Nein Deutschlands zum Irakkrieg im Sicherheitsrat konnte Fischer nicht hinnehmen und stritt stattdessen um diplomatischen Gestaltungsspielraum, der Schaden minimieren sollte .

Als Autor schont Fischer seinen früheren Regierungspartner nicht. Schröder habe in der Außenpolitik nach 2002 zunehmend in präsidialer Attitüde allein entscheiden wollen und sie immer mehr unter dem „alleinigen Gesichtspunkt der Außenwirtschaftspolitik“ gesehen, schreibt er. Fischer und die Grünen legten sich quer – etwa, als es um den Export der Hanauer Atomanlage nach China oder die Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen Peking ging. Beim Hanau-Export übrigens signalisierte Fischer dem Kanzler im Zweiergespräch selbst zunächst Zustimmung – ein Fehler, wie er heute zugibt.

Zwar zeichnet der ehemals starke Mann der Grünen auch innenpolitische Entwicklungen wie Verluste bei Landtagswahlen oder die Erosion von Schröders Basis als Folge der Agenda 2010 nach, die von der SPD nicht programmatisch unterfüttert worden sei. Doch der Wärmestrom dieses Buches gehört ganz der Außenpolitik. Fischer zeigt sich als leidenschaftlicher Analytiker, der die Bewegungsgesetze im Verhältnis der Mächte ergründen will, der Chancen und Risiken der Entwicklung genau in den Blick nimmt und daraus die Aufgaben des Westens und Deutschlands ableitet. Starke Passagen, die man mit Gewinn liest, widmet er dem Nahen Osten, dem Iran, der Türkei und den Vereinten Nationen. Allerdings folgt er auch als Analytiker heute der Selbstbeschränkung, auf die er sich als Minister mit dem Kanzler geeinigt hatte: Weder China noch Russland oder Afrika behandelt er vertieft.

Die größte Leidenschaft Fischers gilt ohnehin der Zukunft Europas. Liebend gerne, so teilt er lakonisch mit, wäre er in seiner zweiten Amtszeit auf den Posten des EU-Außenbeauftragten gewechselt. So ist es nicht gekommen. Seine Mahnung zu Europa bleibt trotzdem richtig. „Eine kleine Dosis historischer Perspektive“, so schreibt er, „täte der deutschen Politik sicher mehr als gut.“ Hans Monath

– Joschka Fischer: „I am not convinced“. Der Irak-Krieg und die rot- grünen Jahre, Kiepenheuer & Witsch, 22,95 Euro

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