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Politik: Ménage à trois

Von Moritz Schuller

Charles de Gaulle rief Harold Macmillan höhnisch ein Edith Piaf-Zitat hinterher, nachdem er den Beitritt der Briten zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verhindert hatte: „Ne pleurez pas, milord“. Nun höhnen sie wieder in Paris über die Angelsachsen, die Europa zu einer riesigen Freihandelszone machen wollen. Doch wer fürchtet, Europa könne unter britischer Ratspräsidentschaft in der Tat in einen neoliberalen Strudel geraten, hat gleich mehrere Dinge nicht verstanden:

Die Stärke Blairs ist die Schwäche des europäischen Projekts. Nicht Blair, wie von allen erwartet, sondern Chirac hat das Verfassungsreferendum verloren und damit die Europäische Union an einen Abgrund geführt. Je ne regrette rien, singt er noch immer.

Die britische Regierung baut, zweitens, den Sozialstaat derzeit nicht ab, sondern aus. Les Anglo-saxons präsentieren sich zu Hause mit Erfolg anglo-sozial: 1999 waren fast alle europäischen Regierungen sozialdemokratisch – Blair, Jospin, Schröder, D’Alema, Persson, Rasmussen, Kok – und in Brüssel herrschte Romano Prodi. Herausgekommen ist für Europa dabei nicht viel.

Drittens hatte bisher noch nie jemand in Großbritannien den Satz „Ich glaube an Europa als politisches Projekt“ ausgesprochen – und politisch überlebt. Von Gordon Brown, Blairs designiertem Nachfolger, oder gar von den Konservativen, wird man den Satz so bald nicht hören.

Blair ist, geschenkt, ein pathetischer Poseur, der viel verspricht und nicht alles hält, und dessen Glaubwürdigkeit seit dem Irakkrieg angeschlagen ist. Doch die Alternative sind Leute wie Jean-Claude Juncker, der noch nach den Referenden in Frankreich und den Niederlanden sagte: „Ich glaube nicht, dass die französischen oder niederländischen Wähler die Verfassung abgelehnt haben.“ Blair klingt wenigstens so, als ob er noch in der Realität leben würde, und dass seine Rede vor dem europäischen Parlament das Beste war, was seit langem zu Europa zu hören war, dafür kann er wohl auch nichts.

Wem es ernst ist mit Europa, der sollte lieber Blairs Angebot annehmen, auf einem Krisengipfel im Herbst grundsätzlich über die Zukunft dieses Kontinents zu debattieren, und ihn so auf das verpflichten, was er sich vorgenommen hat: Was für ein Sozialmodell, fragt Blair, verträgt 20 Millionen Arbeitslose? Wie viel europäische Zentralmacht haben die Franzosen beim Referendum abgelehnt? Wie sieht das „neue politische Europa“ aus, von dem der französische Premier de Villepin plötzlich spricht? Was passiert mit der Türkei? Ein zukunftsweisender Haushalt ist dabei nicht das drängendste Problem – einem Patienten mit Blinddarmdurchbruch schneidet man schließlich auch nicht erst die Fingernägel.

Die große Gefahr, die von der sechsmonatigen Ratspräsidentschaft der Briten ausgeht, ist die alte, dass Blair – wegen des G-8-Gipfels, wegen der Sommerferien in Frankreich, wegen der Wahl in Deutschland – nichts erreicht; und dass er, um am Ende überhaupt etwas vorweisen zu können, lediglich einen faulen Haushaltskompromiss abschließt. Denn dann droht Europa wirklich zu einem „Ebenbild Frankreichs“ (J. Chirac) zu werden – jenem Frankreich nämlich, das sich gegen Europa gestellt hat.

Tony Blairs Angebot ist vor allem eines an Deutschland, nicht ausschließlich mit Frankreich an der Zukunft Europas zu arbeiten, sondern sich dabei endlich auch mit Großbritannien zusammenzutun. „Mon ménage à trois“, ist eben auch ein Lied der Piaf.

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