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Helme

© ddp

Menschen in der Krise: "Ich muss Sie feuern, leider!"

Max arbeitet in der Personalabteilung eines Autozulieferers. Hunderte Menschen hat er bereits entlassen müssen. Er leidet, weiß aber keine Alternative. Vielleicht fliegt er selbst bald.

Nie werde er die Reaktion der 45-jährigen Frau vergessen, die er vor ein paar Wochen entlassen musste, sagt Max. Er selbst hatte sie im Frühjahr 2008 überredet, ihre Heimat in Süddeutschland zu verlassen, um in seiner Firma Sachbearbeiterin zu werden. Damals strahlte sie, dankte ihm überschwänglich, rief noch beim Rausgehen ihre Tochter an, um ihr von den guten Neuigkeiten zu berichten .

Jetzt, als er ihr kündigte, hat sie nicht geschrieen oder ihn beleidigt, wie er befürchtet hatte. "Sie war einfach nur unendlich traurig". Seither sieht er ihr Gesicht manchmal vor sich. Ganz plötzlich beim Fußballgucken oder Biertrinken erscheint sie ihm, die traurige Sachbearbeiterin.

Keine Frage: Früher habe der Job mehr Spaß gemacht, sagt Max. Dabei ist dieses "früher" gerade mal ein paar Monate her. Die Krise hat sein Unternehmen in wenigen Monaten voll erfasst. Im November 2007, gleich nach dem Studium, begann Max in der Personalabteilung eines großen Autozulieferers, dessen Name hier nicht genannt wird, um Max zu schützen. Damals dachte er, er habe einen Traumjob. Seine Tätigkeit bestand darin, sich Weiterbildungskurse auszudenken, Elternzeiten zu verhandeln und Fachmessen zu besuchen.

Der "größte Kick" war es, ständig neue Leute einzustellen. Fünf bis zehn Angestellte heuerte er pro Monat an. "Wer sich nicht ganz blöd anstellte, bekam den Job". So groß war die Nachfrage damals. "Einfach nur geil", sagt er und seufzt. Er, der gerade noch studiert hatte, hatte plötzlich Einfluss. Macht, andere Menschen glücklich zu machen. Seine Unterschrift bedeutete für sie den beruflichen Aufstieg.

Zum ersten Mal in seinem Leben muss er einen Sozialplan erstellen

Im November 2008 kam die erste Auftragsdelle, im Januar sprang ein Großkunde ab. Bis dahin hatte es in Max' Betrieb immer geheißen: Uns trifft die Krise nicht. Sein Konzern ist in seiner Technologie Weltmarktführer, hat Zweigwerke auf drei Kontinenten und mehr als 3.000 Mitarbeiter. Hinzu kommt: Es ist ein schuldenfreies Familienunternehmen, von keinem Aktienkurs oder Investor abhängig - solider deutscher Mittelstand eben. "Wenn es uns trifft, muss es echt komplett alle getroffen haben", sagt Max.

Er musste einen Sozialplan erstellen, zum ersten Mal in seinem Leben. Er hatte keine Ahnung, "wie so etwas läuft". Also büffelte er, recherchierte im Internet, telefonierte mit dem Betriebsanwalt und ehemaligen Kommilitonen. Inzwischen besteht seine Haupttätigkeit darin, Abfindungen auszuhandeln und Zeugnisse zu schreiben.  

Zuerst wurde ein Einstellungsstopp verkündet. Dann mussten alle befristet Beschäftigten gehen. Die genaue Zahl der abgebauten Stellen hat Max nicht parat: Sie liegt "irgendwo im hohen dreistelligen Bereich." Nicht alle reagierten wie die traurige Sachbearbeiterin. Einer sagte ihm ins Gesicht, wie sehr er ihn persönlich enttäuscht habe. "Dabei habe ich dem nie etwas versprochen."

Manche flippen aus, andere strafen ihn mit Verachtung

Einem älteren Mechaniker, der sich die letzten zwanzig Jahre hochgearbeitet hatte, musste er massiv das Gehalt kürzen. "Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn mir das ein 29-Jähriger mitteilt." Tatsächlich aber blieb der Mechaniker ruhig. Mit erhobenem Kopf verließ er Max' Büro. Viele Angestellte hätten ein feines Gespür für die wahren Machtverhältnisse, sagt er. Sie wissen, dass nicht er es ist, der die Entscheidungen trifft.

"Wer darf die schlechten Nachrichten überbringen? Ich natürlich." Dreimal sagt er das so oder so ähnlich während des zweistündigen Gesprächs. Aber als Sündenbock der Geschäftsleitung sieht er sich dennoch nicht. Personalentscheidungen zu verkünden und mit den Betroffenen zu diskutieren, bringe sein Job nun mal mit sich. Es sei funktional schon richtig, dass die Geschäftsführung keinen direkten Kontakt zur Belegschaft hat. Trotzdem kam er sich mächtiger vor, als die Krise seine Branche noch nicht erreicht hatte.

Inzwischen arbeitet ein Teil der Stammbelegschaft in Kurzarbeit. Ob das der richtige Weg ist, bezweifelt Max manchmal. Womöglich hätte ein größerer Stellenabbau mehr gebracht? Vielleicht müsste man noch stärker auf Leiharbeiter setzen? Jede Gehaltskürzung verschafft ihm ein mulmiges Gefühl, weil er nicht weiß, ob sie ausreicht. Niemand in seinem Betrieb kann sagen, wann ist Talsohle erreicht ist. Er ertappt sich immer häufiger bei "perversen Gedankenspielen", wie er es nennt: "Wenn du die jetzt schnell rauskriegst, rettest du vielleicht die anderen."

"Cool, gibt schlimmeres als eine 4-Tage-Woche"

Auch Max selbst ist inzwischen von der Kurzarbeit betroffen. 32 Stunden arbeitet er nur noch pro Woche.  Am ersten Tag nach dem Urlaub wurde ihm mitgeteilt, dass auch in der Personalabteilung vorübergehend Kosten gespart werden müssen. Zuerst dachte er: "Cool, gibt schlimmeres als eine 4-Tage-Woche." Die 150 Euro weniger im Monat würde er schon eine Weile verschmerzen. Aber irgendwann begann der Zustand, an Max' Ego zu nagen. Warum er, warum kaum andere aus seiner Abteilung?

Max weiß, dass er gemessen an den Sozialdaten die schwächste Stellung unter den Kollegen hat: Er hat keine Kinder, ist der jüngste und der mit der geringsten Betriebszugehörigkeit. Womöglich trifft es ihn als nächstes, sagt er emotionslos. Er hat keine Angst, entlassen zu werden. Er wisse, dass er gut sei. Ein paar Headhunter hätten schon bei ihm angeklingelt (auch wenn das ein paar Monate her ist). Die vielen Personalverhandlungen hätten ihn selbstbewusster gemacht.

Max zweifelt nicht an seinem Talent, wohl aber manchmal an seiner Berufswahl. Alles, was ihm am Anfang Spaß gemacht hat, ist Vergangenheit. Die ganzen schönen Ideen für Sprachkurse und Nachwuchstreffen wurden gestoppt. "Wenn das Personalwesen nur aus Krisen bestünde, würde ich kündigen."

Vorerst hofft er aber auf den nächsten Aufschwung. Bis dahin "kotzt" er sich "jeden Feierabend bei seiner Freundin aus". Die ist Krankenpflegerin - wenigstens ein krisensicherer Job in der Familie. (ZEIT ONLINE)

Michael Schlieben

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