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Migranten an Grenze zwischen Belarus und Polen

© Imago/Itar-Tass/Leonid Shcheglov

Update

Menschenrechtler sehen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“: Seehofer und Klingbeil fordern EU zum Handeln an der Grenze zu Belarus auf

Mehrere Tausend Migranten wollen über die polnische Grenze in die EU. SPD-Politiker Klingbeil pocht auf klare Worte, damit „keine neuen Flüchtlinge nachkommen“.

Angesichts der angespannten Situation an der polnisch-belarussischen Grenze fordert der geschäftsführende Bundesinnenminister Horst Seehofer Unterstützung der EU. „Wir müssen der polnischen Regierung bei der Sicherung der Außengrenze helfen. Das wäre eigentlich Aufgabe der EU-Kommission. An die appelliere ich jetzt, dass sie aktiv wird“, sagte der CSU-Politiker der „Bild“.

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Auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil befürwortete im Gespräch mit der „Bild“ eine gesamteuropäische Hilfeleistung für Polen. Zugleich räumte er jedoch ein: „Es muss für die, die da sind, humanitäre Lösung gefunden werden in der EU. Diesen Menschen muss geholfen werden.“

Die Situation könnten Polen und Deutschland nicht alleine bewältigen, betonte Seehofer. An der östlichen EU-Außengrenze zwischen Belarus und Polen wollen inzwischen Tausende Migranten aus Krisenregionen wie Afghanistan und Syrien in den Westen.

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Die EU-Kommission hat jedoch nach eigener Aussage Polen bereits mehrfach ermuntert, Hilfe anzunehmen. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex, die Asylbehörde Easo und die Polizeibehörde Europol stünden bereit, bei der Registrierung von Migranten, Bearbeitung von Asylgesuchen und dem Kampf gegen Schmuggel zu helfen, hieß es am Montag seitens der EU-Kommission. Polen müsse diese Hilfe jedoch anfordern.

Klingbeil nimmt EU in die Pflicht

Die polnischen Pläne zur Errichtung einer Grenzmauer verurteilte Klingbeil. „Das Signal, eine Mauer zu bauen, ist das falsche. Das Signal, die europäischen Außengrenzen zu sichern, ist das richtige. Das Signal an Herrn Lukaschenko, dass wir uns nicht erpressen lassen, ist das richtige“, sagte er.

Flüchtlinge an der Grenze zu Polen: Karte von Deutschland, Polen und Belarus.
Flüchtlinge an der Grenze zu Polen: Karte von Deutschland, Polen und Belarus.

© AFP/Matthias BOLLMEYER

Zugleich forderte der SPD-Politiker die EU zu einer klaren und einheitlichen Strategie auf, damit „keine neuen Flüchtlinge mehr nachkommen“: „Wir müssen in den Ländern, wo sie herkommen, auch deutlich kommunizieren, dass sie keine Chance haben, über diesen Weg nach Deutschland zu kommen.“ Dies entbinde jedoch nicht von der Pflicht humanitäre Hilfe zu leisten.

Um eine Entspannung der Lage zu erreichen, argumentierte Klingbeil, dass der Druck auf den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko in den nächsten Tagen „massiv hochgefahren“ werden müsse.

Polen verurteilt „hybriden Angriff des Lukaschenko-Regimes“

Nach dem jüngsten Andrang von Migranten hatte Polen einen Grenzübergang zu Belarus geschlossen. Seit 7 Uhr am Dienstagmorgen wurde der Grenzverkehr für Waren und Personen am Übergang Kuznica eingestellt, teilte der Grenzschutz über Twitter mit. Reisende wurden gebeten, auf die Grenzübergänge in Terespol und Bobrowniki auszuweichen - rund 230 und 70 Kilometer von Kuznica entfernt.

[Lesen Sie zudem: Sie leben von Blättern und Tautropfen – Die Angst um die Brüder, die auf der Flucht im Niemandsland feststecken (T+)]

Am Montag hatten größere Gruppen von Migranten in der Nähe von Kuznica vergeblich versucht, die EU-Außengrenze von belarussischer Seite aus zu durchbrechen.

„Die Abriegelung der polnischen Grenze ist unser nationales Interesse“, erklärte der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki auf Twitter. Doch dieser „hybride Angriff des Regimes von Lukaschenko“ - also der Einsatz von Angriffsmethoden bei gleichzeitiger Verschleierungstaktik - richte sich gegen die gesamte europäische Gemeinschaft.

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Polen werde sich nicht einschüchtern lassen und „den Frieden in Europa gemeinsam mit unseren Partnern aus NATO und EU verteidigen“, schrieb Morawiecki weiter. „Heute steht die Stabilität und Sicherheit der gesamten EU auf dem Spiel.“

Tausende Migranten harren bei Minusgraden aus

Bei Minusgraden haben Tausende Migranten in der Grenzregion zwischen Belarus und Polen die Nacht in Zelten verbracht. Bis auf einen Steinwurf sei es ruhig geblieben, teilte die örtliche polnische Polizeibehörde am Dienstagvormittag auf Twitter mit. Belarussische Staatsmedien veröffentlichten Fotos und Videos von Menschen, die sich um Lagerfeuer versammelten und Kindern, die in Schlafsäcken auf dem Boden in dem Waldgebiet lagen.

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) hat Lukaschenko für dessen Umgang mit Flüchtlingen kritisiert. Die Instrumentalisierung der Migranten durch das Regime in Minsk sei „als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und kriegerischer Akt gegen Europa zu werten“, erklärte die Organisation.

Wie Polen und die EU warfen auch die Menschenrechtler Lukaschenko vor, damit die EU zu destabilisieren. „Den Tod hilfesuchender Menschen nimmt Lukaschenko dabei bewusst in Kauf“, so die IGFM.

[Lesen Sie zudem: „Es war wie eine Überstellung von Gefangenen“ – Haben EU-Grenzschützer Menschen entführt? (T+)]

Die Organisation forderte, den Machthaber vor dem Internationalen Strafgerichtshof zur Verantwortung zu ziehen. Ebenso müsse eine weitere Annäherung von Belarus an Russland verhindert werden. Nur so könne der belarussische Machthaber sich trotz der Menschenrechtsverletzungen halten.

Nach Erkenntnissen der polnischen Behörden halten sich gegenwärtig zwischen 3000 und 4000 Migranten im belarussisch-polnischen Grenzgebiet auf - viele kommen aus Krisengebieten wie Afghanistan und dem Irak. Auf am Montagabend in sozialen Netzwerken veröffentlichten Videos war zu hören, wie polnische Beamte Menschen in einem provisorischen Zeltlager über Lautsprecher vor illegalen Grenzübertritten in die EU warnten.

Staatsnahe belarussische Medien berichteten unter Berufung auf den Grenzschutz des autoritär geführten Landes von angeblichen Schüssen auf polnischer Seite. Aus Polen gab es dazu zunächst keine offiziellen Angaben.

Migranten an der weißrussisch-polnischen Grenze in der Region Grodno.
Migranten an der weißrussisch-polnischen Grenze in der Region Grodno.

© AFP/Leonid Shcheglov

Die EU wirft Lukaschenko vor, Menschen aus Krisenregionen einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen. Er hatte als Reaktion auf Sanktionen gegen sein Land erklärt, Migranten auf ihrem Weg in die EU nicht mehr aufzuhalten. In der Grenzregion gab es bereits mehrere Todesfälle unter Migranten. Die EU-Staaten Polen und Litauen haben in den vergangenen Monaten Tausende Grenzübertritte gemeldet. Deutschland gilt als ein Hauptziel der Migranten.

Seehofer zufolge hat Polen bisher richtig reagiert. „Ich sage auch, dass wir die bauliche Sicherung der Grenzen brauchen. Da müssen wir auch öffentlich die Polen unterstützen. Wir können sie nicht dafür kritisieren, dass sie mit zulässigen Mitteln die Außengrenze der EU schützen“, so Seehofer. „Natürlich nicht mit Schusswaffengebrauch, aber mit den anderen Möglichkeiten, die es ja auch gibt.“

Belarus warnt Polen vor „Provokationen“

Angesichts der Lage an der polnisch-belarussischen Grenze forderte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zusätzliche Sanktionen. Belarus müsse mit der „zynischen Instrumentalisierung von Migranten“ aufhören, sagte von der Leyen am Montagabend. „Ich fordere die Mitgliedstaaten auf, die erweiterte Sanktionsregelung gegen die belarussischen Behörden, die für diesen hybriden Angriff verantwortlich sind, zu billigen.“

Die EU arbeite insbesondere daran, Fluggesellschaften von Drittstaaten zu sanktionieren, die am Transport von Migranten nach Belarus beteiligt seien. EU-Kommissions-Vize Margaritis Schinas sagte, er werde in den kommenden Tagen in die Herkunfts- und Transitländer der Migranten reisen.

Unterdessen warnte das autoritär geführte Belarus Polen vor Provokationen gewarnt. „Wir möchten die polnische Seite im Voraus davor warnen, beliebige gegen die Republik Belarus gerichtete Provokationen zu nutzen, um mögliche illegale Militäraktionen gegen benachteiligte unbewaffnete Menschen (...) zu rechtfertigen“, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Mitteilung des Außenministeriums in Minsk.

Innenminister Iwan Kubrakow fügte laut der staatlichen Agentur Belta hinzu, dass die Migranten sich „legal“ auf belarussischem Staatsgebiet aufhielten und „kein Gesetzesverstoß“ vorliege.

Die Entsendung tausender polnischer Soldaten an die Grenze hingegen sei eine „erhebliche militärische Aktivität“ und eine „Verletzung bilateraler Abkommen“, erklärte das Verteidigungsministerium und beklagte, nicht informiert worden zu sein. Polen wolle die Spannungen offenbar „absichtlich“ verschärfen und Belarus dafür verantwortlich machen. (dpa, AFP, KNA)

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