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Politik: Menschenwürde ist keine Floskel

Von Wolfgang Schäuble

Den Unterschied zwischen Märtyrern und Selbstmordattentätern hat Richard Schröder in seiner letzten Kolumne aufgezeigt. Genauso wenig kann die brutale Ermordung Unschuldiger durch fundamentalistische Terroristen mit der erniedrigenden Behandlung von Gefangenen im Irak gleichgesetzt werden; aber das eine rechtfertigt das andere nicht.

Über die Menschenwürde haben wir vor kurzem in Zusammenhang mit den Fortschritten naturwissenschaftlicher Forschung diskutiert. Jetzt stellt sich das Thema bei den entsetzlichen Bildern und Nachrichten über Folter und menschenverachtende Behandlung von Gefangenen im Irak. Dabei geht es nicht nur um die Würde der Misshandelten, sondern wieder um die Frage, wie und warum Menschen trotz aller Zivilisation und Kultur zu solchem Tun oder auch nur (Gewähren)Lassen fähig sein können.

Eine erste Antwort kennen wir seit langem: Weil wir Menschen zu Gutem wie zu Bösem veranlagt sind, liegt die Gefahr der Eskalation bei Gewalt immer nahe. Asymmetrische Kriegsführung und computergesteuerter Waffeneinsatz ändern daran offensichtlich nichts. Also müssen wir Gewalt wenigstens einhegen, durch Regeln, die Herrschaft des Rechts, im staatlichen Rahmen und international. Auf die Durchsetzung des Rechts kann nicht verzichtet werden, und dazu kann äußerstenfalls auch militärische Gewalt notwendig sein. Aber das muss multilateral entschieden werden, weil anderenfalls das Recht des Stärkeren droht.

Und außer Kraft darf das Recht nicht gesetzt werden, im Irak nicht und nicht in Guantanamo. In Deutschland hatten wir eine solche Debatte anlässlich der Entführung und Ermordung des Jakob von Metzler. Hätte die Androhung von Folter zur Rettung des Kindes in Kauf genommen werden dürfen, wenn es sonst gar kein anderes Mittel zur Rettung mehr gab? Das Problem der „Ticking Terrorist Bomb“ wird diskutiert. Unterstellt, eine große Zerstörung droht, der Täter, der als einziger weiß, wie die Katastrophe noch verhindert werden kann, ist gefasst und weigert sich – darf er durch Folter gezwungen werden, um den Tod von Tausenden abzuwenden?

Wer die Frage bejahen will, sollte bedenken, zu welchen Exzessen Menschen fähig sind. Deshalb brauchen wir Grenzen, Tabus. Im konkreten Fall kann die Entscheidung entsetzlich schwer fallen. Wir sollten dennoch fest bleiben: Jede der Menschenwürde verpflichtete, rechtlich verfasste Gemeinschaft darf diese ihre Existenzgrundlage nicht zur Disposition stellen. Die Folgen wären noch schlimmer als der Tod unschuldiger Menschen, seien es Zehntausende oder auch ein einzelnes Kind. So mahnen die Bilder aus dem Irak: Die Menschenwürde muss unverfügbar bleiben, für Opfer und für Täter.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – dieser Satz beschreibt nicht eines unter mehreren Grundrechten, sondern gibt ein unaufgebbares Prinzip vor, an dem sich alle anderen Grundrechte zu messen haben. Menschenwürde ist keine verfassungsrechtliche Floskel, sondern der Maßstab, der von jedem Staatswesen, welches den Anspruch erhebt, ein Rechtsstaat zu sein, zu respektieren ist. Wird Menschenwürde – unter welchen Umständen auch immer – disponibel, so öffnet man die berüchtigte Büchse der Pandora. Als in der Sage Pandora jenes Gefäß öffnete, verteilten sich die darin befindlichen Übel über die ganze Erde, und nur die Hoffnung blieb im Gefäß zurück. Hoffnung allein ist jedoch für den Schutz von Menschenwürde zu wenig.

Der Autor ist CDU-Präsidiumsmitglied. Er schreibt die Kolumne im Wechsel

mit Antje Vollmer und Richard Schröder.

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