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Merkel in Washington: Geschäftliche Routine mit Obama

Jurist trifft Physikerin: US-Präsident Obama und Kanzlerin Merkel gehen die Probleme dieser Welt analytisch an. Das verbindet, trotz Interessensgegensätzen.

Selbst wenn Angela Merkel am Freitag mit einem großen Geschenk im Weißen Haus aufwarten sollte, zum Beispiel mit einem Aufnahmeantrag für ein halbes Dutzend Guantánamo-Gefangene, was eher unwahrscheinlich ist. Selbst wenn sie ihre Mundwinkel für einen Tag nach oben ziehen und sich vor Freundlichkeit überschlagen sollte – eine Liebesbeziehung zu Barack Obama wird trotzdem nicht entstehen. Nicht einmal eine herzliche Freundschaft. Wer darauf hofft, wenn sich die beiden diese Woche in Washington begegnen, wird schnell enttäuscht werden. Obama hat zwar das Herz der Deutschen erobert, nicht aber das Herz der Kanzlerin.

Das ist bislang noch keinem Premier oder Präsidenten gelungen. Nicht einmal George W. Bush, der Merkel die Schulter massierte und dessen linkische Art ihr irgendwie zu liegen schien. Merkel sucht keine politischen Freundschaften. Politik ist für sie in erster Linie ein Geschäft und eine Frage von Interessen, keine Angelegenheit von Umarmungen, Zuneigungsbekundungen, gemeinsamen Schlittenfahrten und Saunabesuchen. Sie will schnell zur Sache kommen, die gegenseitigen Standpunkte abklopfen, Punkt für Punkt abarbeiten und wieder abreisen.

Hier ist sie sich übrigens mit Barack Obama einig. Auf seiner ersten Europareise als Präsident, als er im April auf dem G20-Gipfel in London erstmals wichtige Regierungschefs und Staatoberhäupter zu Vier-Augen-Gesprächen traf, gab er gleich zum Besten, dass er nicht gekommen sei, um Freunde zu machen. Da könne man, wie die Geschichte zeige, zu schnell enttäuscht werden. Er setze stattdessen auf gute, normale Beziehungen zwischen Staaten.

So sieht das auch die Kanzlerin. Beide, Obama wie Merkel, gehen an die Probleme dieser Welt analytisch heran. Der Jurist und die Physikerin durchdenken die Dinge gerne, bevor sie sich mit einer Meinung herauswagen. Sie lassen sich nicht von spontanen Erregungen überwältigen. Das bewiesen sie gerade wieder in ihren kalkulierten Reaktionen auf die iranischen Despoten.

Und beide zeichnet eine gewisse Kühle aus, sie halten ihr Gegenüber gerne auf Distanz. Der große Unterschied: Merkel merkt man das immer an, die Wand zwischen ihr und ihren Gesprächspartnern ist stets für alle sichtbar. Sie kann keine Herzlichkeit vorspielen, ist von eher spröder Art und kommt von selber wahrscheinlich nie auf die Idee, ihren Gastgeber beziehungsweise Gast nach seiner Familie, den Kindern, dem letzten Urlaub oder der persönlichen Befindlichkeit zu fragen.

Ganz anders Obama: Er beherrscht diese Rolle perfekt. Sein einnehmendes Lachen, seine den Raum beherrschende Erscheinung, sein selbstsicheres Auftreten und der natürliche Charme machen die Wand zwischen ihm und seinem Besucher unsichtbar. Von außen jedenfalls nimmt man sie nicht wahr. In der Medienwelt und auf diplomatischem Parkett ist das ein unbezahlbares Talent.

Wenn Angela Merkel am Freitag, nachdem sie auf dem Kapitol mit der demokratischen Parlamentschefin Nancy Pelosi gefrühstückt hat, ins Weiße Haus fährt. Wenn sie sich dort mit Barack Obama zum Vier-Augen-Gespräch zurückzieht. Wenn sie sich anschließend, sollte das Wetter mitspielen, gemeinsam mit dem Präsidenten im Rosengarten der Presse stellt und danach im Old Family Room des Weißen Hauses zu Mittag speist. Dann wird man zwei geschäftsmäßige Politiker erleben, die kühl Bilanz ziehen.

Nüchtern werden sie über die Herausforderungen der Weltwirtschaftskrise sprechen, über Iran, den Mittleren Osten und den Afghanistankrieg. Über Asyl für Guantánamo-Gefangene, den umstrittenen Raketenschirm in Polen und Tschechien sowie über die Notwendigkeit einer neuen Russlandpolitik. Über Regelungen für den Finanzmarkt und gegen die globale Erderwärmung. Sie werden einander Respekt und Hochachtung zollen und jeweils dem anderen für seine außerordentlichen Anstrengungen danken.

Funken sprühen da nicht. Es ist eher die unaufgeregte Routine einer normalen, und im landläufigen Sinne guten Beziehung, einer transatlantischen Verbindung, die nie spannungsfrei war, egal, wie kumpelhaft Kanzler und Präsident einander um den Hals fielen. Wer immer im Kanzleramt und im Weißen Haus saß, am Ende regierten die Interessen. Das ist bei Merkel und Obama nicht anders. Auch sie sehen und definieren sich in erster Linie als Interessenwahrer ihres jeweiligen Staates. Das Gute ist: Anders als viele ihrer Vorgänger hören sie einander zu, kalkulieren besonnen und machen sich und der Außenwelt dabei nichts vor.

ZEIT ONLINE, 26.6.2009 - 06:43 Uhr

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