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Merkel und die CDU: Die Partei, die bin ich

Angela Merkel ist nicht nur das Beste, was die Partei zu bieten hat – sie ist praktisch das Einzige. Manche sehen das mit Sorge. Beim Parteitag in Niedersachsen zeigt sich die Macht einer Frau, die immer noch etwas mehr und etwas anders ist als bloß CDU.

Von Robert Birnbaum

Pathos, wenn es sich in Zungenbrechern äußern soll, kann schon mal knapp danebengehen. „Landauf, landein, landab“ – Angela Merkel hält kurz inne, noch mal: „landein, landauf, landab“ – das wird heute nichts mehr. Unten im Parteitagsplenum macht sich freundlich amüsiertes Murmeln breit. Sieh an, die große Vorsitzende, auch nicht immer komplett trittfest! Aber Merkel hat sich schon wieder gefangen und fährt fort damit, die eigenen Truppen zu selbstbewusstem Auftritt zu ermuntern, landauf eben, landein und nötigenfalls auch landab.

Das amüsierte Murmeln geht in geschäftsmäßiges über. Kratzbürstig kann so ein Parteitag sein, mürrisch, unwillig. Ausgelassen kann so ein Parteitag auch sein, übermütig. Die Delegiertenversammlung, zu der Angela Merkel an diesem Dienstagvormittag in der Messehalle in Hannover spricht, hat nichts von alledem an sich.

Nur die Niedersachsen sind ein bisschen aufgekratzt und rascheln mit ihren Pappschildern. Auf denen steht eine sonderbare Buchstabenfolge, hinter der Nichteingeweihte eine Reklame für einen bekannten Hackfleischbrater vermuten könnten oder für ein neues Produkt aus dem Hause Apple. „I’AM A MAC“ soll aber englisch sein und bedeuten, dass der Träger für David McAllister sei. In 47 Tagen, der niedersächsische Ministerpräsident hat es in seiner Begrüßungsrede vorgerechnet, wählen sie hier im Land ein neues Parlament. Die Wahl gilt als entscheidender Test für die Bundestagswahl ein paar Monate später. Das erklärt nicht nur, dass Hannover im Moment das Zentrum des deutschen Parteitagswesens ist – die Grünen waren gerade hier, die SPD kommt am Wochenende; wenn die Mitglieder des CDU-Bundesvorstands von ihrem Hotel aus über die Schnellstraße schauen, können sie an der Fassade der Messehalle 8 schon das große rote Logo der Sozialdemokraten erkennen. Die nahe Wahl erklärt auch einiges von dem, was die CDU hier zwei Tage lang vorführt. Sie zeigt dem Publikum nur das Beste, was sie zu bieten hat.

Das Beste trägt Schwarz mit einem kleinen beigen Kragenspiegel. Im hohen Mittelalter gab es eine Zeit, in der Kleiderfarben wie Signalflaggen eingesetzt wurden. Angela Merkel spielt das Spiel mit ihrem eigenen Kleiderschrank seit geraumer Zeit nach. Schwarz steht für „seriös“. Am Vorabend war das orangefarbene Kostüm dran, die Logofarbe der CDU. „Ich bin Ihr“, hieß das also. Das muss, sonderbar genug, immer noch mal wieder gesagt werden. Seit zwölf Jahren steht die Frau aus Ostdeutschland jetzt an der Spitze der Partei. Das ist schon fast halb so lange wie die Amtszeit von Helmut Kohl und im Grunde immer noch ein Wunder.

Kohl war so etwas wie der größte gemeinsame Nenner der größten Volkspartei. Merkel ist das auch nach zwölf Jahren nicht. Sie ist Merkel geblieben „mit allen Risiken und Nebenwirkungen“, wie sie in einer früheren Phase trotzig in einen Parteitagssaal gerufen hat, als da unten und neben ihr im Präsidium noch etliche saßen, die ihr die Führung streitig machen wollten.

Die sind allesamt nicht mehr da. Die neuen Stellvertreter, die der Parteitag später wählen wird, müssen sich einem größeren Publikum überhaupt erst bekannt machen. Die Bekannteste von ihnen, Ursula von der Leyen, geht mit einem nicht so tollen Ergebnis vom Platz – ein Denkzettel für die Eigenwillige. Julia Klöckner aus Rheinland-Pfalz bekommt dafür fast 93 Prozent, weil irgendwie alle sie mögen. Und der Letzte, der sich für einen Kronprinzen halten konnte, muss sich schulterklopfende Freundlichkeiten anhören: „Lieber Norbert“, sagt Merkel, als sie ihren gefeuerten Minister auch als Parteivize verabschiedet, „danke für deine Arbeit, alles Gute und auf gute weitere Zusammenarbeit.“ Norbert Röttgen nickt dazu. Was bleibt ihm übrig? Als Merkel ihn nach seinem Wahldebakel in Nordrhein-Westfalen hinauswarf, war das der deutlichste Beleg dafür, was sich diese Kanzlerin inzwischen leisten kann. So was hat sich noch nicht mal Kohl getraut.

Merkel kann es sich leisten, die Frauen mal wieder auszubremsen

Aber sie kann sich ja noch eine ganze Menge anderes leisten. Sie kann es sich zum Beispiel leisten, die CDU über Ehegattensplitting für Homo-Ehen debattieren zu lassen. Übrigens in einer langen Debatte, die praktisch der gesamte konservative „Berliner Kreis“ zur Wortmeldung nutzt, um wider die Gleichstellung der Schwulen zu reden. Außer dem Sachsen Steffen Flath gelingt es allen, sich nicht allzu alttestamentarisch zu verhalten. Flath lässt durchblicken, warum ihm die ganze Richtung nicht passt: „Gott hat uns Menschen geschaffen als Frau und Mann, und ich glaube, dass er sich was dabei gedacht hat.“ Am Ende lehnt der Parteitag den Vorstoß jener „Wilden Dreizehn“ ab, die eingetragene Lebenspartner vor der Steuer gleich behandelt sehen wollten. So viel Moderne ist den Delegierten mehrheitlich zu viel. Außerdem hätten sie der Chefin widersprechen müssen, die eher für die Beibehaltung des Gewohnten war.

Leisten kann es sich Merkel auch, die Frauen mal wieder auszubremsen. Die Frauen-Union versucht seit Jahren, die Rentenansprüche für Mütter aufzustocken, die ihre Kinder vor 1992 zur Welt gebracht haben. Vor einem Jahr ließen sie sich beim Leipziger Parteitag den Widerstand gegen das Betreuungsgeld für die Zusage abkaufen, dass etwas geschehen solle. Passiert ist nichts. Diesmal, schworen die Frauen, sollte es so nicht enden; Frauen-Chefin Maria Böhmer sagte mit funkelnden Augen ein Gefecht voraus.

Das Gefecht ist ausgefallen. Am Montagabend einigt sich der Parteivorstand auf eine Formulierung, in der davon die Rede ist, dass man „schrittweise“ dem Projekt nahetreten wolle. Das klingt gut, steht allerdings unter dem Vorbehalt haushaltspolitischer Zwänge.

Böhmer erläutert jetzt jedem, weshalb das ein Fortschritt sei. Andere sehen die Geschichte realistischer: „Das ist weniger als die Zusage vor einem Jahr.“ Zumal über den Haushalt neuerdings die FDP wacht. Und die will nichts geben.

Ach ja, die FDP. Merkel wiederholt in ihrer Rede, was sie neulich zur allgemeinen Verblüffung schon im Bundestag behauptet hatte, dass diese schwarz-gelbe Regierung „die erfolgreichste seit der Wiedervereinigung“ sei. Merkel bekräftigt, dass zwischen Christdemokraten und Liberalen immer noch die größten Gemeinsamkeiten bestünden: „Wir teilen gemeinsame Werte und Grundsätze!“ Sie predigt Zuversicht allen Kleingläubigen, die beim Blick auf die Umfragen an die schwarz-gelbe Zukunft nicht glauben.

Aber es gibt eine kleine Passage in ihrer Rede, die das ganze Gemälde, nun, sagen wir: ein bisschen mattiert. Ihr habe jener Kabarettist gefallen, sagt Merkel, der den Spruch erfunden habe: „Gott hat die FDP vielleicht nur erschaffen, um uns zu prüfen.“ Es sind drei Jahre Prüfung geworden. In 47 Tagen, in Niedersachsen, könnten die letzten, besonders quälenden Monate enden. Wenn die FDP in Hannover nicht mehr in den Landtag kommt, das ist gewiss, wird der bekannteste niedersächsische Liberale sofort seinen Job los; Philipp Rösler ist dann Bundesvorsitzender gewesen.

Merkels CDU wäre das sehr recht. Mit Rösler, da sind sich alle einig, ist keine Wahl mehr zu gewinnen; mit einem Übergangsvorsitzenden Rainer Brüderle und der Hoffnung auf eine erneuerte FDP vielleicht schon. Das Szenario hat nur den Nachteil, dass McAllister ohne FDP im Landtag der Partner abhandenkommen würde. Er hätte dann beste Aussichten, Ende Januar als der strahlendste Verlierer der deutschen Wahlgeschichte zu enden. In der Landes-CDU gibt es schon Überlegungen, gegen Ende des Wahlkampfs notfalls alles auf die eigene Karte zu setzen, die FDP für verloren zu erklären und auf eine absolute Mehrheit hinzukämpfen.

Der Parteitag hört zu, ohne Enthusiasmus, aber auch ohne Ungeduld

Bei der Bundes-CDU sind sie so weit noch nicht. Dort führt die anhaltende Schwäche der FDP eher zu allerlei schwarz-grünen Gedankenspielen. Merkel sind die nicht recht. Nicht, dass sie nicht notfalls auch mit den Grünen eine Regierung bilden würde. Aber erstens müsste die Not dafür schon wirklich groß sein – Merkel, die Machtpragmatikerin, hat nicht umsonst neulich im CDU-Präsidium darauf hingewiesen, dass ein solches Bündnis praktisch gegen den gesamten Bundesrat anregieren müsste. Und zweitens können Merkels Vertraute vorrechnen, dass schwarz-grüne Fantasien nur den Grünen Stimmen zutreiben würden. Im CDU-Parteivorstand ist deshalb am Montagabend in dem Sinne diskutiert worden, dass man, was auch geschehe, möglichst lange an der FDP festhalten sollte.

Ansonsten gilt, im Herbst 2013 selbst so viele Stimmen wie möglich für die CDU einzusammeln. Oder, um es genauer zu sagen: Stimmen für Angela Merkel. Die Frau da oben auf der Bühne ist nicht nur das Beste, was die CDU zu bieten hat; sie ist mittlerweile praktisch das Einzige. Manche sehen das mit Sorge. Thematisch, sagt ein Vorstandsmitglied, habe die CDU nichts im Wahlkampfangebot, „was jemanden hinter dem Ofen hervorlockt“. Die Partei muss alles auf Merkel setzen, obwohl und weil sie immer noch etwas mehr und etwas anders ist als bloß CDU.

Merkel weiß das, und sie nutzt es. Eine Stunde lang spricht sie in der Messehalle – über Europa in der Krise, die noch lange nicht beendet sein werde, über Deutschland, das trotzdem stark geblieben sei. Der politische Gegner kommt nur ganz kurz vor: „Das Programm der Sozialdemokraten ist ein Mittelstandsgefährdungsprogramm.“ Die Frauen werden gestreichelt – doch, bei den Rentenansprüchen werde man etwas tun, vielleicht sogar noch mal bei der Frauenquote: „Meine Geduld bei dem Thema geht zu Ende!“

Der Parteitag hört zu, ohne Enthusiasmus, aber auch ohne Ungeduld. „Arbeiten für den Zusammenhalt“, sagt Merkel zum Schluss, darum gehe es. Zusammenhalt zwischen Ost und West, zwischen Einheimischen und Zuwanderern, zwischen Jungen und Alten. „Das klingt beinahe banal, aber es ist in Wahrheit eine Riesenaufgabe.“ Und zum Ende noch etwas Pathos, diesmal ohne Zungenbrecher. Auf einer Tafel an einer Kirche in ihrem Wahlkreis auf Rügen stehe ein Spruch, erzählt Merkel: „Gottes sind Wogen und Wind, aber Segel und Steuer sind euer.“ So müsse das stolze Schiff CDU Deutschland und Europa steuern.

Man weiß jetzt, wofür das schwarze Kostüm steht. Es ist die staatstragende Kurzfassung dieser Rede. In Worte übersetzt heißt es ungefähr so viel wie: Wir sind ich. Als das Sitzungspräsidium später das Wahlergebnis zur Wiederwahl der Parteivorsitzenden bekannt gibt, steht vielen der Delegierten das Staunen über sich selbst im Gesicht. 97,94 Prozent. Donnerwetter. Der Großbildschirm zeigt eine Angela Merkel, deren Miene zwischen Triumph und Gelassenheit changiert. „Wer mich kennt, weiß, ich bin echt platt und bewegt“, sagt sie, als der minutenlange Applaus sie wieder zu Wort kommen lässt. „Jetzt wieder ran an den Speck!“

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