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Bundeskanzlerin Angela Merkel.

© Odd Andersen/AFP

Merkel vor der Bundestagswahl: Was plant die Kanzlerin für die Euro-Zone?

Ein gemeinsamer Haushalt der Euro-Länder? Schuldenschnitt für Griechenland? Merkel will ihre Euro-Pläne erst nach der Wahl verkünden. Das ist ein großer Fehler. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Die Sache scheint gelaufen zu sein. In den entscheidenden Umfragen zur Bundestagswahl führt die Union mit bis zu 16 Prozent vor der SPD. Die könnte selbst mit einer abenteuerlichen Koalition aus SPD, Linken, Grünen und FDP keine stabile Mehrheit zusammenbringen. Auch bei der Frage nach dem gewünschten Bundeskanzler findet Angela Merkel nahezu doppelt so viel Zustimmung wie Martin Schulz.

Wie kommt das? Merkel hat ja schon Wahlkämpfe mit der sedierenden Beschwörung „Sie kennen mich“ gewonnen. Aber ist sie wirklich eine solche Verkörperung von Beständigkeit und Verlässlichkeit, dass man ihr ein Mandat geben dürfte, ohne genau zu wissen, wozu?

Energiewende, Ausstieg aus der Atomkraft, Flüchtlingshilfe für Hunderttausende, Aussetzung der Wehrpflicht – alles geradezu grundstürzende, aber einsame Beschlüsse, die sie ex cathedra durchsetzte. Es geht nicht darum, ob jede einzelne dieser Entscheidungen klug oder unbedacht war, sondern um das Wie ihrer Entstehungsgeschichte und die langfristigen Folgen der überraschenden Strategiewechsel oder, im Fall der Flüchtlinge, einer humanitären Geste.

Und nun ein Mandat für eine nicht näher beschriebene neue Europapolitik? Nach dem deutsch-französischen Ministerrat am 13. Juli in Paris teilten Emmanuel Macron und Angela Merkel gemeinsam mit, geplante, also doch wohl konkret besprochene, Reformvorschläge für eine Vertiefung der Währungsunion würden erst nach der Bundestagswahl präsentiert. Warum? Weil, sagt die Kanzlerin, Deutschland für größere Schritte ein Mandat des künftigen Bundestages bräuchte.

Um was für Schritte es gehen könnte, ist nicht erst seit dem Besuch von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz beim französischen Staatspräsidenten bekannt. Im Gespräch ist ein gemeinsamer Finanzminister für die Euro-Zone, ein gemeinsamer Haushalt der Euro-Länder, ein europäischer Investitionsplan. Und – der heimlich-unheimliche Wiedergänger seit Jahren – ein partieller Schuldenschnitt für Griechenland.

Sie braucht ein Mandat des Wählers

Das alles mag sinnvoll und überfällig sein. Aber wie erklärt man dem deutschen Wähler, dass jede diese Änderungen der überkommenen Politik in seinem Interesse wäre, weil Europa auch den deutschen Wohlstand sichert und wirtschaftliche Stabilität der Partnerstaaten allen nützt? Wie machen Regierungen ihren Bürgerinnen und Bürgern deutlich, dass eine Finanz- und Wirtschaftspolitik wie jetzt, im Ungefähren, Planlosen, auf Dauer hoch risikobehaftet ist? Doch nur durch Offenheit und nicht nach der Devise des Bundesinnenministers Thomas de Maizière, der im Zusammenhang mit den Gefahren des Terrorismus staatliche Verschwiegenheit mit dem paternalistischen Argument begründete, die Wahrheit könne den Bürger beunruhigen.

Nein, Angela Merkels Vorstellung vom Wähler ist offenbar die des Staatsbürgers im Laufstall, eines zu behütenden Mitmenschen, dem man nicht zu viel zumuten darf. Schon einmal haben Unklarheiten in der Europapolitik – damals ging es um die Griechenlandrettung und den ESM, den Europäischen Stabilitätsmechanismus – eine rechte Partei stark gemacht. Schon vergessen? Die AfD war an ihrem Beginn weit weniger fremdenfeindlich als Euro-kritisch. Sie nährte sich geradezu bösartig von der von ihr selbst angestachelten Furcht der Deutschen, die Regierung könnte den Wohlstand des Landes zur Sanierung von Faulenzerstaaten opfern. Diese Partei wird sich auch jetzt wieder auf die diffuse Ankündigung der Kanzlerin stürzen und damit und mit den Ängsten der Wähler am 24. September Stimmen gewinnen.

Als Kanzlerin Merkel in Paris sagte, sie bräuchte für ihre Pläne erst einmal ein Mandat des künftigen Bundestages, irrte sie sich in der Reihenfolge und grundsätzlich. Was sie braucht, ist ein Mandat des Wählers, und das bekommt sie am ehesten, wenn sie vor der Wahl sagt, was sie zusammen mit Frankreich erreichen will.

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