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 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), und der französische Staatspräsident Emmanuel Macron nach der Verleihung des Karlspreises in Aachen.

© Ina Fassbender/dpa

Merkels enttäuschende Rede beim Karlspreis: Das Signal von Aachen

Mit Emmanuel Macrons Motivation lässt sich Europa gestalten – mit Angela Merkels Angst nicht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Es wirkte wie ein Spiel mit vertauschten Rollen, und das Publikum hat es gemerkt. Schon einmal, vor exakt zehn Jahren, gab es im Krönungssaal des Aachener Rathauses eine ähnliche Szene wie jetzt am Himmelfahrtstag. 2008 wurde Bundeskanzlerin Angela Merkel dort mit dem Karlspreis ausgezeichnet. Ihre politische Leistung für Europa würdigte der französische Präsident Nicolas Sarkozy. 2018 war Angela Merkel die Laudatorin. Ihre Worte galten einem Nachfolger Sarkozys, sie galten Emmanuel Macron.

Damals sah das französische Staatsoberhaupt sich selbst in der Rolle desjenigen, der von den Erfahrungen der deutschen Kanzlerin profitierte. Er sagte: „Ich habe sehr viel von Angela Merkel gelernt ... Die Kultur des Konsens, der Föderalismus, die Koalitionsbildungen sind eine Wirklichkeit und sicherlich auch eine Stärke, die in Deutschland weitaus präsenter ist als in Frankreich.“

Heute schaut Deutschland neidisch auf Frankreich

2018 ist es Deutschland, das mit einer gewissen Bewunderung, mit einem Gefühl des Neids, auf Frankreich schaut, denn Merkel lobt nun an Macron, was sie selbst 2008 nicht nur in den Augen Sarkozys ausgezeichnet hat. Macron wisse, was er wolle und was Europa zusammenhält, sagt die Kanzlerin jetzt. Er habe klare Vorstellungen, wohin sich Europa entwickeln solle, und er bringe vor allem auch „Begeisterungsfähigkeit für Europa“ mit.

Hier geht es nicht um Äußerlichkeiten. Dass die Kraftlinien eines Landes sich im Gesicht einer Kanzlerin abzeichnen, die im dreizehnten Jahr die Richtlinien der deutschen Politik bestimmt, dass der 20 Jahre jüngere Präsident dagegen strahlend und unverbraucht wirkt – alles geschenkt. Was wir in Aachen sahen und hörten, spürten und schmerzhaft registrierten, waren Erstarken und Vergehen jenes politischen Sendungsbewusstseins, ohne das man den Weg von Staaten nicht bestimmen kann.

Kanzler oder Präsident, das ist nicht Chefin oder Chef einer Verwaltungsbehörde, in der täglich verlässlich und berechenbar nach dem Diensthandbuch entschieden wird. Nein, das ist die Suche nach dem künftigen Weg des Landes, an dessen Spitze sie und er durch die Wähler gestellt wurden.

Angela Merkel weiß, und im Koalitionsvertrag ihrer Regierung wird das ganz zu Beginn beschrieben, dass Europa vor enormen Herausforderungen steht, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Teilen des Kontinentes besorgniserregend hoch ist, dass Europa dringend Investitionen brauche. Ob die dann über ein Budget für die Euro-Zone kommen, wie Macron es will, darüber kann man streiten – aber streiten muss man dann, und nicht verkniffen schweigen, weil Teile der christdemokratischen und die komplette christsoziale Gruppe im Parlament alles verweigert, was wie der Einstieg in eine Transferunion klingt. Dabei geht es ja nicht darum, auf Kosten Deutschlands Südeuropa zu sanieren, sondern eher um ein Konjunkturprogramm auch, nicht nur, für diese Region. Eines, das stark jenem ähnelt, das eine deutsche Regierung Merkel 2008 mitten in der Weltwirtschaftskrise erfolgreich auf den Weg brachte.

Merkels Angst macht sie mutlos

Aber Angela Merkel hat Angst, Angst vor der eigenen Koalition. Deshalb hat sie sich selbst bis zum Juni vertagt mit einem eigenen Vorschlag. Angst macht mutlos, macht kraftlos. Das war es, was man in Aachen begriff. Für Deutschland war es kein gutes Signal.

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