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„Wir haben ein Problem mit Männerbünden“: #Metoo in der Linkspartei – Zahl der Betroffenen steigt

Sexuelle Übergriffe, Belästigung, Machokultur: Ein „Spiegel“-Bericht erschüttert die Linke. Mittlerweile haben sich 20 weitere mutmaßlich Betroffene gemeldet.

Jakob Hammes klingt desillusioniert. „Entweder wir brechen jetzt die Strukturen auf oder das war es mit unserer Partei“, sagt der 20-Jährige. Er ist Bundessprecher der Linksjugend 'solid und sieht seine Partei in einer existenziellen Krise. Nachdem Ende vergangener Woche ein „Spiegel“-Bericht über Grenzüberschreitungen, Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe bei den hessischen Linken erschien, sei die Zahl der mutmaßlichen Fälle gestiegen, sagt er.

Es hätten sich 20 weitere Betroffene aus verschiedenen Landesverbänden der Partei gemeldet. Das #Metoo-Problem der Linken wächst.

Der „Spiegel“ hatte unter Verweis auf Chatprotokolle, E-Mails, Fotos und eidesstattliche Versicherungen über verschiedene mutmaßliche Übergriffe und Grenzüberschreitungen innerhalb der hessischen Linken berichtet. Die Dokumente zeichneten das „Bild einer Partei, die Betroffene zu selten unterstützt und möglichen Tätern kaum Einhalt geboten hat“, hieß es in dem Bericht.

Neutrale Vertrauensleute sollen eingesetzt werden

Die Linke ist seitdem in Aufruhr. Im Fokus steht auch Parteichefin Janine Wissler. Sie war mehr als ein Jahrzehnt Fraktionsvorsitzende der Linken in Hessen. Ihr Ex-Partner – ebenfalls in der Linken aktiv – soll eine Affäre mit einer jungen Genossin gehabt haben und über deren Balkon nachts bei ihr eingestiegen sein, auch nachdem die Affäre bereits beendet war.

Wissler wandte sich entschieden dagegen, dass „mir unterstellt wird, ich hätte irgendjemanden geschützt“. Sie habe mit der jungen Frau Kontakt gehabt. „In keinem dieser Kontakte wurde der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs oder der sexuellen Gewalt erhoben. Sie hat mich auch nicht um Hilfe gebeten.“

Sie habe nach den Schilderungen der Frau aber die Beziehung zu dem Mann beendet, sagt Wissler. Den Fall einer weiteren jungen Frau, die Ende 2021 angab, vor Jahren durch ein Mitglied der Wiesbadener Linken vergewaltigt worden zu sein, habe sie sofort an den Landesvorstand weitergegeben.

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Der Bundesvorstand der Linkspartei verspricht Aufklärung. „Patriarchale Machtstrukturen finden sich überall in der Gesellschaft“, hieß es. Die Linke sei davon nicht ausgenommen. „Wir sichern zu, dass wir grenzüberschreitendes Verhalten nicht dulden und nicht unter den Tisch kehren werden.“

Die hessische Linke hatte nach eigenen Angaben ab Ende November 2021 Kenntnis von den Vorwürfen erlangt und mit der Aufarbeitung begonnen. Der Landesvorstand will als weiteren Schritt „neutrale“ Vertrauensleute finden, die keine Ämter und Funktionen in der Partei haben, hieß es.

Die Linke ist ohnehin in einer schwierigen Lage

Aus Sicht von Jakob Hammes liegt die Schwierigkeit aber in den Strukturen der Partei. „Wir haben in der Linken ein Problem mit Männerbünden, bestehend aus Funktionären, die schon seit der Gründung aktiv sind, Ämter auf sich vereinen und sich gegenseitig helfen, ihre Macht zu festigen“, sagt er am Telefon. „Wenn intern Grenzüberschreitungen von solchen Männern bekannt werden, heißt es oft: Den kenne ich schon so lange, der ist doch ein Guter.“

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Die Linksjugend habe schon vor Veröffentlichung des „Spiegel“-Artikels von 30 möglichen Tätern innerhalb der Linkspartei gewusst – bundesweit. „Da geht es um sexualisierte Gewalt: Belästigung, Grabschen, teilweise aber auch um Vergewaltigung“, sagt Hammes. „Oft kommt Machtmissbrauch erschwerend dazu. Nach dem Muster: Ein Funktionär auf mittlerer Ebene verspricht einer jungen Genossin viel und nutzt sie dann aus.“

Die Fälle von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt erschüttern die Linke in einer Zeit, in der die Partei ohnehin in einer schwierigen Lage ist. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ringt die Linke um ihren Kurs. Sie hatte stets eine russlandfreundliche Politik vertreten. Aus Sicht von Hammes hängen beide Probleme zusammen: „Unsere Struktur begünstigt informelle Bünde. Diese verhindern auch seit Jahren eine offene Diskussion über unsere außenpolitische Linie.“ Es müsse sich jetzt endlich etwas ändern.

Hammes glaubt aber auch, die #MeToo-Welle könnte die Politik insgesamt erfassen. „Auch aus anderen Parteien und Jugendorganisationen wie der Grünen Jugend haben sich Betroffene von sexualisierter Gewalt bei uns gemeldet“, sagt er.

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