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Politik: „Mich gibt’s nur so!“

FDP-Chef Westerwelle über liberales Profil, den Zustand der Union und die Kritik an seiner Person

Herr Westerwelle, in Ihrem Programm „Neuanfang für Deutschland“ stellen Sie der Union Koalitionsbedingungen. Machen Sie die FDP nicht größer als sie ist?

Ich habe keine Bedingungen gestellt, ich habe ein Sofortprogramm für den Fall einer Regierungsbeteiligung der FDP formuliert. Es geht mir um wirtschaftliche Erneuerung und technologiefreundliche Politik, aber auch um eine Renaissance der Bürgerrechte.

Das Programm ist also verhandelbar.

Es gibt Punkte, die nicht zur Disposition stehen. Dazu zählt ein einfacheres, niedrigeres und gerechteres Steuersystem: Das ist der Eisbrecher für alle weiteren Reformen. Man kann die Sozialsysteme nur erneuern, wenn man den Menschen mehr Geld für die Eigenvorsorge lässt.

Heißt das: Ohne drastische Steuersenkungen keine Koalition mit der Union?

Wir machen keine Koalitionsaussagen auf Vorrat. Ich beschreibe die Position der FDP, mit der wir großen Erfolg haben. In den vergangenen drei Jahren haben wir bei 28 Wahlen 27 Mal zugelegt. Wir sind inzwischen wieder in elf Landtagen und im Europäischen Parlament vertreten.

Dennoch hat die FDP in der öffentlichen Wahrnehmung an Kontur verloren. Gemessen an der Konkurrenz wirkt sie seltsam glatt – wie eine Partei ohne Eigenschaften.

Die Wähler sehen das anders, sonst würden sie uns nicht mit Wahlergebnissen belohnen, die es seit der deutschen Einheit nicht mehr gegeben hat. Das zählt. Ich bin als Parteivorsitzender dafür verantwortlich, den Politik- und Machtwechsel zu organisieren.

Die Wähler stehen 2006 vor der Alternative Schröder/Fischer oder Merkel/Westerwelle. Wie wollen Sie gegen Deutschlands beliebtesten Politiker bestehen?

Jeder Außenminister führt die Beliebtheitsskala an. Das hat Tradition, wird aber für die Wahl nicht entscheidend sein. Die FDP wird nicht so töricht sein, sich auf einen inhaltsleeren Personality-Wahlkampf einzulassen.

Sie treten nicht als Kanzlerkandidat an?

Kurz vor meinem 43. Geburtstag bin ich noch im Stadium der Lernfähigkeit.

CSU-Chef Stoiber bezweifelt, dass Sie Fischer das Wasser reichen können – er nennt Sie einen Leichtmatrosen.

So weit ich weiß, hat Edmund Stoiber gesagt, Fischer und Schröder seien keine Leichtmatrosen. Dem stimme ich in vollem Umfang zu. Wer Fischer heute sieht, kann wirklich nicht auf den Gedanken kommen, er sei ein Leichtmatrose.

Lassen Sie die Zweifel an Ihrer Person völlig kalt?

Erstens sollte man nicht aus jedem Alpengrollen eine große Staatsoper machen. Und zweitens ist aus manchem Matrosen schon ein Kapitän geworden, mindestens aber ein Erster Offizier.

Wie ordnen Sie sich denn im Moment ein?

Auf der Brücke bin ich schon angekommen, den Rest entscheidet der Wähler. Das Ruder ist zum Greifen nah. 2005 stehen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen die letzten beiden rot-grünen Landesregierungen zur Disposition. Wenn sie fallen, gibt es womöglich vor 2006 Neuwahlen und damit einen Wechsel im Bund.

Die meisten Wähler glauben trotz aller Unzufriedenheit mit Rot-Grün nicht, dass Schwarz-Gelb es besser könnte.

Dass Rot-Grün die schlechteste Nachkriegsregierung stellt, weiß in der Tat mittlerweile jeder im Land. Die Bilanz ist katastrophal: die höchste Massenarbeitslosigkeit seit der Einheit, die größte Pleitewelle und die höchste Staatsverschuldung seit Gründung der Republik, brüchige Sozialsysteme und ein Bildungssystem im Sinkflug. Auf die Beschreibung der Negativrekorde von Rot-Grün darf sich die Opposition aber nicht verlassen. Wir müssen zeigen, wie wir es besser machen können. Dieser Quantensprung muss uns in den nächsten Monaten besser gelingen. Wir ducken uns deshalb nicht weg – wie CDU und CSU bei der Gesundheitsreform. Die Wähler wollen wissen, wer ihr Leben mit welchem Konzept zukunftssicherer machen kann.

Macht Ihnen die Union Sorge?

Mich beschäftigt der Zustand der Union dann, wenn er die Ablösung von Rot-Grün gefährdet. Es ist gefährlich, dass die Union das Steuerkonzept von Friedrich Merz zum Großteil in der Schublade hat verschwinden lassen. Und natürlich ist der Gesundheitskompromiss der Union bürokratischer Murks. Hier hat die Union ebenso wenig wie die SPD mit ihrer als Bürgerversicherung getarnten Zwangskasse ein Konzept zu bieten, bei dem die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten abgekoppelt werden. Wir haben gezeigt, wie es gehen kann.

Beim Gesundheitsstreit zwischen CDU und CSU ging es auch darum, wie viel Reformklarheit man den Wählern zumuten soll. Hat die CSU gewonnen?

Es gewinnen leider jene Teile der Union wieder Oberwasser, die sich der Blümschen Sozialromantik verpflichtet fühlen. Zu viele in der Union fallen in das unsinnige Denken zurück, wonach eine wirtschaftsfreundliche Politik arbeitnehmerfeindlich sei. Davor kann ich nur warnen: Wir können die Wahlen nur gewinnen, wenn wir Abschied nehmen vom sozialdemokratischen Denken, dem auch in der Union noch zu viele verhaftet sind.

Warum sollte es einen Wechsel geben, wenn die Union so schlecht vorbereitet ist?

Ich werbe nicht für die Union, sondern für eine eigenständige FDP als Alternative zu Rot-Grün und zu den Konservativen. Mir geht es nicht nur um Wirtschaftspolitik und ordnungspolitische Klarheit, sondern ebenso um innere Liberalität. Es ist doch ein Skandal, wie eine unheilige Allianz von SPD, Union und Grünen die Bürgerrechte ausgehöhlt hat. George Orwell hält Einzug in unseren Rechtsstaat!

Sie übertreiben, um die FDP als Bürgerrechtspartei zu profilieren.

Keineswegs. Das Bankgeheimnis wird im kommenden Jahr faktisch abgeschafft, die Telefonüberwachungen haben explosionsartig zugenommen, ohne dass die Sicherheitslage sich so verbessern ließe. Und mit dem Luftverkehrssicherheitsgesetz wurde die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, dass unter bestimmten Umständen eine voll besetzte Passagiermaschine abgeschossen werden kann. Das alles haben die Grünen mitgemacht.

Die Union kämpft weiter gegen einen EU-Beitritt der Türkei, obwohl in Brüssel jetzt die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen beschlossen wurde.

Die Unionsparteien erwecken den Eindruck, als könne nach einem Regierungswechsel zurückgenommen werden, was jetzt vereinbart worden ist. Das ist aber nicht der Fall. Internationale Verträge sind bindend. Als Regierungspartei wird die FDP garantieren, dass Deutschland ein berechenbarer Partner bleibt und Verträge nicht plötzlich in Frage gestellt werden. Wir werden aber ebenso darauf achten, dass ergebnisoffene Verhandlungen geführt werden, an deren Ende ein Ja, ein Nein oder auch eine Zwischenlösung stehen kann. Das unterscheidet uns von der Bundesregierung, für die der Türkei-Beitritt feststeht.

Und dafür steht im Erfolgsfall ein Außenminister Westerwelle?

Bringen Sie mich mal nicht ins Träumen, auch wenn bald Weihnachten ist. Es bleibt dabei: Für den Neuanfang in Deutschland muss jeder persönliche Wünsche zurückstellen, weil in den ersten eineinhalb Jahren nach einer Bundestagswahl einschneidende Maßnahmen beschlossen und umgesetzt werden müssen. Wo jeder am besten diesem Ziel dient, das zählt.

Sie haben mit Anfang 40 schon eine lange Karriere hinter sich. Was sind Spuren der Macht?

Ich bin misstrauischer geworden und muss mich gelegentlich ermahnen, meine rheinische Offenheit gegenüber Menschen nicht zu verlieren. Ansonsten entdeckt man die Qualitäten eines stabilen Privatlebens gerade auch für die politische Arbeit.

Die herausragendste Meldung über den FDP-Chef war 2004 Ihr Outing. Woran liegt das?

Ich habe das gute Recht, zu einer Geburtstagsfeier in Begleitung zu erscheinen. Wenn daraus Titelseiten entstehen, beschäftigt mich das weniger als Sie glauben.

Den Auftritt bei Angela Merkels Geburtstagsfeier hatten Sie doch wohl überlegt.

Ich habe das getan, was Millionen Menschen tun: Sie sind in einer Partnerschaft und gehen gemeinsam zu Geburtstagsfeiern. Das hat nichts mit Überlegung oder Inszenierung zu tun, das war einfach der Gang der Dinge. Vor eineinhalb Jahren war ich noch Single und bin es jetzt nicht mehr. Na und?

Sie haben nie negative Folgen für Ihre Karriere befürchtet?

Ich mache mir darüber keine Gedanken. Das würde ja auch nichts ändern. Im Übrigen habe ich den Eindruck, dass Deutschland über solche Fragen längst hinweg ist. Das habe ich so erlebt und empfunden. Die Reaktionen waren abgesehen von ein paar Drohungen von Verrückten überaus herzlich. Die Menschen freuen sich, wie man sich eben mit jemandem freut, dem es privat augenscheinlich gut geht. Nein, das Privatleben ist für die Deutschen kein Thema mehr, das bei Wahlentscheidungen eine Rolle spielt.

Für die CSU anscheinend doch. Dort klagt man, Sie und Angela Merkel könnten das bürgerliche Lager nicht abdecken.

Dass aus Bayern Bemerkungen über die so genannte Protestantin aus dem Osten und den so genannten Junggesellen aus Bonn gestreut wurden, zeigt ein überholtes Gesellschaftsverständnis. Selbst wenn ein Großteil der Konservativen Probleme mit meinem Privatleben hätte, würde ich es nicht ändern. Ich bin stolz auf meine Partei, wo jeder nach seiner Facon selig werden kann. Mich gibt’s nur so!

Das Gespräch führten Tissy Bruns und Stephan Haselberger. Das Foto machte Kai-Uwe Heinrich.

AUFSTIEG

Guido Westerwelle,

Jahrgang 1961, Rechtsanwalt, wird 1994 Generalsekretär der FDP und reformiert ihr Programm. Zermürbt vom Dauerbeschuss Jürgen W. Möllemanns gibt Parteichef Gerhardt sein Amt 2001 auf. Der „Alleskönner“ Westerwelle wird FDP-Vorsitzender.

GUIDOMOBIL

Im Bündnis mit dem Konkurrenten Möllemann setzt er 2002 auf das Projekt 18, wird Kanzlerkandidat und scheitert mit der „Spaßpartei“.

MÜHE DER EBENE

FDP-Tief nach Möllemanns Selbstmord. Mit der Bundespräsidentenwahl setzen Westerwelle und Merkel ein Signal für den schwarz-gelben Machtwechsel.

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