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In Köln ist die Stimmung unter den Gläubigen besonders schlecht.

© dpa

Miese Stimmung an der Basis der katholischen Kirche: „Auch außerhalb von Köln alles andere als gut“

In Köln treten die Mitglieder reihenweise aus der Kirche aus, in den katholischen Gemeinden ist die Wut über Vertuschungen groß. Was fordert die Basis?

Für den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki war es ein wahres Spießrutenlaufen: Vor der Düsseldorfer Kirche „Sankt Maria vom Frieden“ standen die Gläubigen Spalier. Als der Kardinal dort in der vergangenen Woche zu einem Gespräch mit der Gemeindeleitung ankam, streckten sie ihm rote Karten entgegen. Eine Botschaft, die für den Fußballfan Woelki unmissverständlich gewesen sein muss: Die Gläubigen stellten ihren Erzbischof vom Platz.

Denn bei dem Gespräch in der Gemeinde ging es um einen in der jüngeren katholischen Kirchengeschichte relativ einmaligen Vorgang: Die Düsseldorfer Katholiken hatten ihren Erzbischof von der Feier der Firmung, einem Sakrament, das normalerweise der Ortsbischof spendet und das mit der Konfirmation in der evangelischen Kirche vergleichbar ist, offiziell ausgeladen.

Die Gemeinde war verärgert über den Umgang mit dem sexuellen Missbrauch im Kölner Erzbistum: In der Gemeinde waren zwei Priester tätig, die des Missbrauchs beschuldigt werden, und gegen die Woelki aus Sicht vieler Katholiken nicht hinreichend und entschieden genug vorgegangen sei.

So wie in Düsseldorf verhält es sich derzeit in vielen Gemeinden entlang des Rheins. Der rheinische Katholizismus, in der alten Bundesrepublik noch eine feste Größe, zerbröselt schneller, als man hinschauen kann.

Wer am Freitag beim Amtsgericht Köln einen Termin für einen Kirchenaustritt buchen wollte, fühlte sich an die schlimmsten Zeiten der Berliner Bürgerämter erinnert: Als nächsten Vorschlag gab es einen Termin am Montag, 16. August. Ähnlich war es beim Amtsgericht in Leverkusen. Beim Amtsgericht in Düsseldorf waren hingegen gar keine Termine mehr für diese Dienstleistung buchbar.

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„Im Erzbistum Köln ist die Stimmung an der Basis katastrophal“, sagt der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, am Freitag dem Tagesspiegel. „Außerhalb von Köln ist sie aber auch alles andere als gut.“ Nur in dem Maße, in dem Gläubige nicht alleine auf Amtsträger und kirchliche Strukturen achten, sondern „auf das, was das christliche Leben eigentlich ausmacht – den Gottesdienst, die soziale Praxis, die Feste – gibt es andere Einstellungen“.

Als erschütternd bezeichnete Sternberg einen besonders spektakulären Austritt aus der katholischen Kirche: Bereits im März hatten die beiden Gründerinnen der Reformbewegung „Maria 2.0“, Elisabeth Kötter und Andrea Voß-Frick aus Münster, angekündigt, die Kirche verlassen zu wollen. Die Reformerinnen, die sich für eine Gleichberechtigung der Frauen in der Kirche einsetzten, hatten in Interviews erklärt, angesichts der Missbrauchsskandale einen weiteren Verbleib in der Kirche nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren zu können.

In Berlin und Brandenburg gibt es noch keine signifikante Erhöhung der Kirchenaustritte

Und Berlin und Brandenburg? „Auch in unserem Erzbistum ist die Beunruhigung über den Umgang mit dem sexuellen Missbrauch groß“, sagt Karlies Abmeier. Die Historikerin ist Vorsitzende des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum Berlin, also der Vertretung der katholischen Laien in der Kirche. „An der Basis gibt es nur rudimentäres Wissen und viel Besorgnis, was sich da noch alles verbergen könne.“ Zumindest bestünde die Hoffnung, dass die Laien den Missbrauchsbericht für das Erzbistum Berlin demnächst ganz lesen könnten, und so ein weiterer Schritt in Richtung Transparenz gemacht würde.

Immerhin gebe es im Erzbistum Berlin, zu dem neben der Hauptstadt auch weite Teile Brandenburgs sowie der Landesteil Vorpommern gehören, noch keine signifikante Erhöhung der Kirchenaustritte, sagt Abmeier. „Die Situation im Rheinland hat noch keine Auswirkungen auf Berlin.“ Wie die Berliner Katholikenvertreterin die Rücktrittsankündigung von Marx bewertet? „Der Schritt des Kardinals ist beachtlich“, sagt Abmeier. „Er ist derjenige, der den Mut hat, es zu tun.“ Dabei habe Marx schon vor einiger Zeit eine Stiftung zur Entschädigung von Missbrauchsopfern ins Leben gerufen – „schon das war ein hochanerkennswerter Schritt“, sagt Abmeier. „Und ob der Papst das Rücktrittsangebot annimmt, ist ja auch noch offen.“

Mit „großem Respekt, aber auch großem Bedauern“ hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, das Rücktrittsgesuch vom Freitag aufgenommen. Das Gesuch zeige erneut die beispielgebende Gradlinigkeit und Konsequenz, mit der Marx die Erneuerung seiner Kirche betreibe.

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