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Diese Flüchtlinge sind mit dem Schiff auf Kreta gelandet. Das ist eher untypisch. Die meisten kommen über die türkische Landgrenze nach Griechenland. Sie kommen aus Asien und aus Afrika, aus Afghanistan oder Somalia. In Griechenland sind die Fremden zunehmend weniger willkommen.

© dpa

Migranten in Griechenland: "Fremdenhass ist ein neues Phänomen in der griechischen Gesellschaft"

Die Krise hat auch die Lage von Griechenlands Migranten weiter verschlimmert. Martin Baldwin-Edwards, britischer Migrationsforscher mit Wohnsitz Athen, spricht im Interview über Mord und Schläge in der City von Athen, das Versagen Europas und eine politische Klasse, die nicht Teil des eigenen Landes ist.

Angeblich versiegelt Griechenland seine Grenze zur Türkei; das soll unter anderem der Abwehr syrischer Flüchtlinge aus Europa dienen. Ist dem so?

Das hat Minister Nikos Dendias so nicht gesagt. Er sagte, seine Regierung sei besorgt – soweit in Ordnung, das sind schließlich alle. Auf Nachfrage sagte er: Wir müssen abwarten. Anscheinend haben Medien seine Worte manipuliert. Dendias kündigte den Einsatz von weiteren 1800 Grenzbeamten – derzeit sind es 600 – und jenen lächerlichen zehn Kilometer langen Zaun an, der über drei Milliarden Euro kosten wird und gegen den die Europäische Kommission sich wehrt. Er wurde dabei zu Syrien befragt und äußerte „Besorgnis“. „Die Grenze versiegeln“ ist ein verbreiteter Begriff, der auf Griechenlands rechte Szene zielt. Dendias bezog das nicht spezifisch auf syrische Flüchtlinge. Denen geht es ohnehin besser, wenn sie in der Türkei bleiben. Die Gewalt gegen Flüchtlinge und Minderheiten hierzulande wird mittlerweile übel.

Bei einem Vortrag, den Sie vor zwei Jahren in Berlin hielten, etwas vor der Krise, malten Sie ein sehr düsteres Bild der Bedingungen, unter denen Migranten in Griechenland leben. Wie ist die Lage jetzt?

Sie hat sich seitdem sehr verschlechtert. Schon früher gab es kaum Arbeit für Migranten, aber inzwischen gibt es absolut gar keine mehr. Alles – und ich spreche von schlecht bezahlter Arbeit – geht an Griechen. Die City von Athen ist 24 Stunden am Tag praktisch von Migranten besetzt, es sind Tausende und ihr Leben ist schrecklich. Fünf Minuten entfernt von meiner Wohnung sehe ich dürre Gestalten, denen man nicht zutraut, auch nur noch einen weiteren Tag zu überleben. Meine eigene britische Universität ist geschlossen und mein griechisches Forschungsinstitut ist bankrott; ich habe fast kein Einkommen, aber im Vergleich zu ihnen fühle ich mich reich.

Wovon leben die Leute?

Die meisten verkaufen Drogen oder Schmuggelware, zum Beispiel illegal importierte Zigaretten. Viele sind erst kürzlich gekommen, sie müssen die Schmuggler bezahlen, die den Vertrieb des Löwenanteils am Schwarzmarkt organisieren. Und sie haben enorme Verpflichtungen den Schlepperorganisationen gegenüber; ihre Familien sind bedroht. Das größte Problem ist, dass sie selbst ganz von harten Drogen abhängig sind. Deshalb haben die Griechen Angst vor ihnen. Ich sollte vielleicht erwähnen, dass Griechenland sein einziges staatliches Drogen-Rehazentrum geschlossen hat – aus Geldmangel.

Die Griechen, sagen Sie, fürchten die Migranten – aber es sind auch Griechen, die sie verprügeln und sogar umbringen.

Migranten sind zu bequemen Sündenböcken für Griechenlands Probleme geworden. Und dass einige Tausend von ihnen unter diesen Bedingungen auf der Straße leben, ist politisch und sozial tatsächlich ein heißes Eisen. Dadurch hat die absolut ekelhafte griechische Faschistenpartei „Goldene Morgenröte“  bei den letzten Wahlen so viel Erfolg gehabt. Und die regierenden Partei liefen und laufen in die gleiche Richtung: Im April, kurz vor der zweiten Parlamentswahl, ließ die sozialistische Pasok-Partei die Polizei Leute auf der Straße aufgreifen. Die jetzige Regierung setzt diese Politik unter dem Namen „Xenios Zeus“, fort, „Gastfreundlicher Zeus“. Nach griechischen Medienberichten sind seit Beginn des Monats mehr als 8000 Menschen in Haft gekommen. Von ihnen scheinen nur 1700 wegen fehlender Papiere festgenommen worden zu sein. Dieser Anteil von 21 Prozent ist sehr niedrig und weist darauf hin, dass die Polizei nur aufgrund der Hautfarbe und eines asiatischen oder afrikanischen Äußeren zugriff. Hinzu kommt, dass die meisten der sogenannten Illegalen in Griechenland einfach früher legale Migranten waren, die ihre Arbeit und ihren Aufenthaltsstatus verloren haben. Es ist rechtlich wie moralisch nicht akzeptabel, sie mit denen in einen Topf zu werfen, die erst vor kurzem über die Grenze kamen.

Was wissen Sie über die Gewalt gegen Migranten?

Sie eskaliert und ist außer Kontrolle. Schläger auf Motorrädern durchstreifen die Straßen und halten nach Leuten Ausschau, die sie angreifen oder sogar töten können. Der Bericht einer Nichtregierungsorganisation spricht von mehr als 500 Hassstraftaten in den vergangenen sechs Monaten. Die Polizei tut nichts und ist selbst ohne jede Kontrolle. Die Gerichte verurteilen nicht, die Staatsanwälte handeln ebenfalls nicht. Der griechische Staat hat kein Interesse, gegen rassistische Gewalt vorzugehen. Eine Ausnahme ist der Bürgermeister von Athen, Kaminis. Es gab einige Tote durch die grundlose Gewalt der „Goldenen Morgenröte“ und es gibt Berichte, dass sie ihre Gewaltakte noch steigern und auf Roma und andere griechische Minderheiten ausweiten wollen. Das mag Deutschen gefährlich vertraut scheinen, aber in der griechischen Gesellschaft ist das ein neues Phänomen.

Sie erwähnten das Verhältnis von Legalität und Illegalität. Wie kommt ein Flüchtling in Griechenland an einen legalen Aufenthaltsstatus?

Jeder, der die Spitze der Schlange vor Griechenlands einziger Einwanderungsbehörde erreicht – die Polizeirevier von Petrou Ralli in Athen – bekommt eine rosa Karte, die ihm für sechs Monate volle Rechte zuspricht: das Recht zu arbeiten, das Recht auf ein Bankkonto und sämtliche Aufenthaltsrechte. Diese Politik ist einzigartig in Europa und höchst kontraproduktiv.

Irgendeine öffentliche Hilfe gibt es nicht?

Es gibt keinerlei Hilfe, auch wenn die „Aufnahmezentren“, die vor kurzem gebaut wurden, die Lage verbessern sollen. Im Grund war es in den letzten 20 Jahren griechische Politik, Asylbewerber einfach zu ignorieren – und vor allem hat man sie, wenn sie ihre Anträge gestellt hatten – die zu 99,9 Prozent abgelehnt werden – in den Straßen im Zentrum von Athen sich selbst überlassen, ohne jeden Beistand oder Geld.

Was läuft schief mit Griechenlands Migrationspolitik?

Es geht nicht nur um Griechenland. Die EU-Strukturen für den Umgang mit der Wanderungsbewegung aus Nordafrika haben gar nichts gebracht. Nordafrika ist vielmehr eine Pufferzone für Europa geworden, die EU hat die Genfer Flüchtlingskonvention für Afrikaner, die kommen wollen, praktisch ausgesetzt. Wo immer eine sogenannte Lösung gefunden wurde, waren das nationale Initiativen: Spanien konzentrierte sich auf Marokko und den Senegal, Italien auf Libyen – wobei die Kooperation darin bestand, Gaddafi Millionen von Euro zu zahlen. Die EU hat im Grunde noch keine Einwanderungspolitik. Die Kommission und der Ministerrat tun nur gern so, als hätten sie eine. In Wirklichkeit haben wir nationale Politik.

Und Griechenland?

Ist mit Migration von allem Anfang an falsch umgegangen. Sogar die Troika hat ihnen gesagt, was sie da tun müssten, aber die Griechen tun es einfach nicht. Sie reden noch immer über die verdammte Grenze zur Türkei, dabei sollten sie über Politik reden und Migrationsmanagement. Es geht nicht um die Grenze, es sollte darum gehen, wie man mit unterschiedliche Migrationsströmen umgeht. Und was man mit denen macht, die Schutz brauchen. Athen hat die Finanzierung der sogenannten Internierungszentren so schlecht gemanagt, dass die Europäische Kommission Millionen nicht auszuahlen kann, weil die Bürokratie versagt. Unter Hinweis auf Griechenlands Souveränität ist man sogar im Begriff, Operationen der EU-Grenzagentur Frontex zu unterbinden. Im vergangenen Dezember teilte die Kommission Athen mit, sie werde für die Grenzbefestigungen nicht zahlen. In Brüssel weiß man sehr gut, dass sich eine Grenze nicht vollständig schließen lässt und sie wissen nur zu gut, dass das schlechtbezahlte griechische und türkische Grenzpersonal geschmiert wird.

Was sie über griechische Migrationspolitik schildern, scheint besser zu einem außereuropäischen „failing state“, einem gescheiterten Staatswesen zu passen.

Griechenland war immer schon ein „failing state“. Wenn ganz Europa auseinanderbricht, ist es einfach das schwächste Glied der Kette. Die meisten Griechen würden es vorziehen, von der EU übernommen zu werden. Aber die politische Klasse redet über nationale Souveränität und spielt ihre dummen politischen Spielchen.

Eine politische Klasse, die nach zwei Wahlen erneut am Ruder ist.

Ja, und dafür ist Deutschland zum Teil verantwortlich, Europa auch. Man hätte nicht die Syriza-Partei verhindern dürfen, deren Vorsitzender Alexis Tsipras ein gescheite Person ist. Er ist Bauingenieur, eine Seltenheit in Griechenland. Er hat zum Beispiel an großen Projekten in Athen mitgearbeitet und er kennt sein Land. Und das ist nötig. Er hat einen technisch-organisatorischen Hintergrund und einen guten Zugriff auf Wirtschaftsfragen. Er weiß, was los ist.

Und die aktuelle Regierung?

Die beiden großen Parteien sind Teil einer politischen Klasse, die nicht zu ihrem Land gehört. Das findet man sonst in der Dritten Welt. Papandreou und Samaras gehören beide dazu. Sie sind Weltbürger.

Was ist daran schlecht?

Gar nichts. Aber wenn Sie regieren wollen, sollten Sie zuerst Ihr Land kennen. Die griechische politische Klasse machte sich zum Beispiel lustig über Tsipras’ Englisch. Sein Englisch ist ordentlich. Aber er hat Griechenland nie verlassen, folglich ist es nicht so brillant wie das von Leuten, die ihr Leben in Harvard oder Oxford verbrachten – ohne übrigens denken oder ernsthaft wissenschaftlich arbeiten zu lernen. Tsipras’ Analysen der Wirtschaftskrise jedenfalls waren weitaus durchdachter und wach als die von Papandreou oder Samaras.

Welche Lösung sehen Sie für Griechenland in Europa – nicht nur in Migrationsfragen?

Griechenland ist beides: das Herz der europäischen Zivilisation und ihr Gegenteil. Die Lösung ist nicht, das Land aus Europa zu werfen. Aber Deutschland hat das Falsche getan, als es den Griechen protestantische Moral aufzwang. Es ist absurd zu glauben, dass drastische Steuern für die griechischen Bürger – zur Tilgung von Staatsschulden - irgendetwas anderes erreichen werden, als die Wirtschaft zu zerstören. Griechenland braucht Unterstützung und Führung von Europa, aber es muss sein politisches Personal finden, mit dem es aus der Krise kommt. Bisher haben Deutschland und die Troika die griechischen Aussichten auf Reform beschädigt, indem sie unmögliche finanzielle Bedingungen stellten und einer korrupten politischen Klasse wieder auf die Beine halfen. Sollte Deutschland die Absicht gehabt haben, Korruption, Vetternwirtschaft und Verschwendung in Griechenland zu verewigen, dann hätten seine Politiker ausgezeichnete Arbeit geleistet.

Martin Baldwin-Edwards ist Brite und lebt seit 15 Jahren in Athen. Der gelernte Volkswirt ist Experte für Migration besonders des Mittelmeerraums und hat lange zur Wirtschaft Griechenlands gearbeitet. Er ist Ko-Direktor des Mediterrean Migration Observatory (MMO) und forscht am Wiener International Centre for Migration Development. Er war bisher Professor der Athener Pantheion-Universität.

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