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Migranten sind Polizisten, Professorinnen oder Handwerker - und wählen zusehends auch wie der Durchschnitt der Deutschen

© Jürgen Blume/epd

Update

Migranten und Parteien: Merkel gewinnt bei Einwanderern

Auch in der migrantischen Bevölkerung lösen sich alte Parteibindungen auf - und das Wahlverhalten passt sich dem der Gesamtbevölkerung an.

Die SPD verliert weiter an Zustimmung – jetzt sogar in der Gruppe, die ihr jahrzehntelang besonders treu war: Menschen aus türkischen Familien. Wie aus einer Auswertung des „Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration“ (SVR) hervorgeht, hat sich die Zustimmung Türkeistämmiger zur Sozialdemokratie binnen weniger Jahre fast halbiert. Für  Frauen mit türkischem Hintergrund sind inzwischen sogar die Unionsparteien erste Wahl. „Die stabile Bindung der Türkeistämmigen an die SPD“, heißt es in der SVR-Studie, „ist nicht mehr zu erkennen.“ 

Noch vor zwei Jahren war die Mehrheit links

Damit liegen Türkeistämmige mit besonders deutlichen Verschiebungen allerdings lediglich an der Spitze eines allgemeinen Trends: Migrantinnen und Migranten wählen mittlerweile weniger links. Ihre Parteipräferenzen passen sich, so die Studie, die am Donnerstag veröffentlicht wurde, dem Schnitt der Bevölkerung an, wobei, so die Autorinnen und Autoren, ihre Entscheidung oder Sympathie für eine Partei „nicht mehr vorrangig vom ursprünglichen Herkunftsland bestimmt sind“. Die Parteien des linken Spektrums, SPD, Grüne und Linke, haben auch bei Migranten keine Mehrheit mehr, die hat vielmehr die Partei der Kanzlerin. Noch 2016 konnte der SVR in einer ähnlichen Studie eine linke Mehrheit unter Migranten feststellen. Damals hätte die SPD noch 40,1 Prozent erhalten – bei Türkeistämmigen sogar 70 Prozent - , die Grünen 13,2 und die Linke 11,3 Prozent. Nur 27,6 Prozent hätten vor zwei Jahren die Unionsparteien gewählt.

Union gewinnt bei allen Migrantengruppen

Allerdings bröckelte schon vor zwei Jahren die Bindung der Spätaussiedler an ihre traditionelle Vertreterin, die Union. Das hat sich verstärkt. Zwar hat sie nach wie vor die Mehrheit der Menschen hinter sich, die aus deutschen Familien aus der UdSSR und den Ländern des ehemaligen Ostblocks stammen. Sie ist aber von 45,2 Prozent auf nur noch 40,6 Prozent gerutscht. Die SPD steht nicht mehr an zweiter Stelle, sie stürzt unter Spätaussiedlern und Aussiedlern geradezu ab, von 25,6 auf 15 Prozent. Die Linke hat sich an ihr vorbei mit 15,5 Prozent auf Platz zwei geschoben und auch AfD und FDP werden in dieser Gruppe immer beliebter - beide haben auch insgesamt in der migrantischen Bevölkerung zugelegt. Lag die FDP in der Studie von 2016 noch unter einem Prozent in der Gunst der Aussiedlerinnen, so schafft sie es jetzt auf acht. Die AfD steigerte ihren Anteil ebenfalls stark, von 4,7 auf zwölf Prozent. Die relativ hohen Werte der AfD unter Migranten insgesamt, so die Studie, seien „im Wesentlichen auf die deutlich gestiegene Zustimmung unter den Spät-/Aussiedlerinnen und Spät-/Aussiedlern zurückzuführen“. 

Die Union allerdings hat bei allen migrantischen Gruppen Sympathien gewonnen. Nicht nur die Mehrheit der türkeistämmigen Frauen stützt die Partei der Kanzlerin und ihre bayerische Schwester – insgesamt behauptet die SPD mit 37 Prozent ihren ersten Platz unter Menschen mit türkischem Hintergrund – auch europäische Einwandererinnen und Einwanderer bevorzugen sie zu 44,3 Prozent. Und unter Menschen aus dem großen Rest der Welt schaffen es CDU und CSU sogar fast auf eine absolute Mehrheit: 48,6 Prozent würden sie wählen.

SPD-Migrationspolitiker warnt: Es könnte noch schlimmer für uns kommen

Aziz Bozkurt, der Vorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt, zeigte sich vom Ergebnis "verärgert und ernüchtert" - aber nicht überrascht: "Das war völlig erwartbar", sagte Bozkurt dem Tagesspiegel. "Gerade im Zeitraum der Befragung rund um die Bundestagswahl war die SPD in den Themenfeldern, die gerade die Einwanderungsgesellschaft betreffen, völlig abgetaucht." In Sachen Mehrstaatigkeit habe sie sogar eine "Rückwärtsbewegung" hingelegt. Außerdem gebe es "kein Gesicht mit Einwanderungsgeschichte mehr in der ersten Reihe" der Partei, kritisierte Bozkurt. Die bisherige Staatsministerin für Integration Aydan Özoguz war nach der letzten Bundestagswahl nicht nur aus dem Amt, sondern auch us dem SPD-Parteivorstand ausgeschieden. "Wenn dann noch eine Normalisierung des Wahlverhaltens eintritt - wieso sollen konservative Migranten nicht konservative Parteien wählen? - dann kommt da was zusammen." Seine Partei warnte Bozkurt, diese Zahlen könnten noch weiter nach unten gehen: "Wenn die SPD beim Erneuerungsprozess dieses Potenzial verschläft, dann sind auch die aktuellen Prozentwerte in dieser wachsenden Wählergruppe noch sehr schmeichelhaft." Menschen mit Migrationshintergrund machten zur Bundestagswahl 2017 ein gutes Zehntel der Wahlberechtigten aus, rund zwei Prozentpunkte mehr als vier Jahre zuvor.

CDU-Politikerin: Das ist Merkels Verdienst

Cemile Giousouf, 2013 bis 2017 Bundestagsabgeordnete der CDU und Integrationsbeauftragte der Unionsfraktion, erklärt den neuen Erfolg ihrer Partei mit der Person von Angela Merkel: "Dieses Ergebnis überrascht mich nicht und ist definitiv auf unsere Bundeskanzlerin zurückzuführen. Viele Menschen mit Migrationshintergrund schätzen ihre konsequente Haltung in der Integrationspolitik. Seit 2005 hat sie eine von Offenheit und Toleranz geprägt Linie verfolgt", sagte Giousouf dem Tagesspiegel. Es sei Merkel auch wichtig gewesen, das Amt der Integrationsbeauftragten wieder mit einer CDU-Politikerin zu besetzen. Giousouf sagte, sie sehe sich durch die Studie "auch bestätigt in der Ansicht, dass Migranten eben nicht in erster Linie Migranten sind, sondern Eltern, Studierende, Rentner oder Gewerbetreibende." Gerade unter Deutschtürken gebe es eine starke Gründerkultur, der die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland wichtig sei. Den Absturz der SPD in der Gunst vor allem türkischer Migranten nannte Giousouf " negativ für eine Partei, die lange als Migrantenpartei galt".

Die Partei habe "dieses wichtige Thema anscheinend nicht mehr überzeugend besetzt". "Die SPD ist weit hinter dem geblieben, was sie immer versprach: Vielfalt. Die spiegelt sich aktuell weder in der Bundestagsfraktion noch im Bundeskabinett." Dass speziell Aydan Özoguz keinen Rückhalt an der Parteispitze hatte und nicht einmal mehr im SPD-Vorstand sei, hätten wohl "viele übelgenommen". Die eigene Partei warnte Giousouf, sich nicht auf diesen guten Werten auszuruhen". "Man sieht, dass sich Parteipräferenzen inzwischen rasch verändern. Wir brauchen auch weiterhin gezielte Zielgruppenansprache und müssen daran arbeiten, insbesondere junge Migranten anzusprechen." Das gelte für alle demokratischen Parteien.

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