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Nicht neu – aber die „Flüchtlingskrise“ hat den Rechten Auftrieb verschafft.

© imago/IPON

Migration und Populismus: Das Thema Einwanderung ist lediglich ein Verstärker

Eine neue Dresdner Studie hat untersucht, wie Populismus und Migration zusammenhängen - nicht so stark, wie üblicherweise angenommen.

Das Wachsen populistischer Bewegungen in Europa hat seine Wurzel nicht in der Migration. Eine Studie des „Forums Migration und Demokratie“ (Midem) an der Technischen Universität Dresden kommt zu dem Schluss, dass die sogenannte Flüchtlingskrise lediglich „Auslöser, Verschärfer, Verstärker, ein Katalysator“ war, wie Hans Vorländer, Direktor des von der Mercator-Stiftung geförderten Forschungszentrums, sagte. Bereits in den 1990er Jahren hätten etwa sechs Prozent der europäischen Bevölkerung rechtspopulistische Politik unterstützt, ihre Anhängerschaft sei in den letzten Jahren lediglich, wenn auch stark gewachsen: im Schnitt um das Doppelte, in Deutschland sogar aufs Dreifache. Parteien wie die italienische Lega oder die deutsche AfD, aber auch Bewegungen wie Pegida profitierten von der hohen öffentlichen Bedeutung des Themas Migration. So sei das Thema Migration nach dem Erfolg des britischen Brexit-Votums rasch wieder fast unbedeutend in der öffentlichen Debatte Großbritanniens geworden.

Europas Osten glaubt grundsätzlich an die geschlossene Nation

Ein weiterer Befund des Projekts, an dem auch Forscherinnen und Forscher der Universität Duisburg teilnehmen: Die Einstellung gegenüber Migranten ist von Nord- bis Südeuropa in den letzten Jahren nicht negativer geworden. Eine Ausnahme bilden die ostmitteleuropäischen Staaten, obwohl es dort kaum Migranten gibt. Migration werde dort aus kulturellen Gründen abgelehnt, sagte Kristina Chmelar, die die Region in der Studie betreute: „Es gibt im Osten der EU eine grundsätzlich andere Vorstellung, wie Gesellschaft funktionieren soll.“ Das Modell sei kein offenes, liberales, sondern das einer möglichst geschlossenen, homogenen Gesellschaft. Das Verhältnis zu Migration sei zweckrational: Man sei für die verwertbare Arbeitsmigration, aber gegen Flüchtlinge.

Hinzu komme, so Chmelar, die Sorge, die vor gerade drei Jahrzehnten errungene nationale Souveränität wieder zu verlieren – an die Bürokratie in Brüssel und die deutsche Hegemonie in der EU. Die Studie rät deshalb, anders als oft gefordert, von einer einheitlichen EU-Migrationspolitik ab. Die Haltungen und die Gründe für Migrationsskepsis seien zu unterschiedlich, in Deutschland der Ost- West-Gegensatz, in Italien der zwischen Nord und Süd und im ohnehin ausscheidenden Großbritannien der zwischen London und der Peripherie.

Identität ist wichtiger als Wirtschaft...

Die sonst mehrheitlich positive Haltung zu Migration in den europäischen Gesellschaften sollten Medien und Politik nutzen, empfiehlt die Studie. "Parteien sollten nicht den Skandalisierungsstrategien von Populisten aufsitzen, sondern das Thema Migration unaufgeregt und sachlich adressieren. Auf diesem Wege kann eine Kluft gegenüber Teilen der öffentlichen Meinung vermieden werden, von der populistische Parteien profitieren", heißt es im Text. Tatsächlich scheinen die Medien, die klassischen wie die neuen sozialen, oft eher die Rolle von Geburtshelferinnen für eine erstarkende Rechte zu spielen. "Die Thematisierung der Migration durch die Medien hat das Thema erheblich nach oben gespült", sagte Vorländer während der Vorstellung der Studie. Deren Daten sind noch deutlicher: So haben die Asylsuchenden-Zahlen und die Medienberichterstattung über Migration bis 2015 in etwa Schritt gehalten. Während allerdings die Zahl der Neuankömmlinge seit damals drastisch gesunken ist, bleibt die Beschäftigung der Medien mit dem Thema auf fast unverändert hohem Niveau. Berichterstattung und politische Debatte darüber aber, so die Studie, "aktivieren‘ die in Teilen der Bevölkerung latent vorhandene Skepsis gegenüber Migration und die damit verbundenen Ängste und Befürchtungen. Genau genommen bringt Migration diese Ängste und Befürchtungen nicht hervor, sondern regt sie an und verstärkt sie."

... aber was ist britisch, was ist italienisch?

Die Studie warnt insgesamt vor wirtschaftlichen und sozialen Erklärungen des Rechtspopulismus und hält die kulturell-identitären für stärker. So sei zum Beispiel die Wählerschaft der AfD ein Querschnitt durch die Schichten und Einkommensklassen, und in Polen erhielt die regierende PiS-Partei Zulauf, obwohl Polen bis 2015 die stürmischste wirtschaftliche Entwicklung eines EU-Lands erlebte. Abstiegsängste spielten allerdings eine Rolle; wirtschaftliche Sorgen „schimmern oft auch auch hinter kulturellen Deutungen durch“, heißt es in der Studie. Wobei das, was als eigene, angeblich bedrohte Kultur angesehen wird, selbst stark oszilliert und von Unsicherheit geprägt ist, was das Eigene denn sei, das man verteidigen müsse. Oliviero Angeli, Koordinator der Studie, verwies in Berlin auf Italien. Die seit März mitregierende rechtsradikale "Lega", deren Aufstieg in den 1980er Jahren mit der Polemik gegen die "Trampel" im Süden, das "räuberische Rom" verbunden war und die sich eine eigene norditalienische Nation erfand, "Padanien", tue sich deswegen immer noch schwer damit, mit einer drohenden kulturellen Überfremdung gegen Migranten zu polemisieren - und das, obwohl sie die Anti-Süd-Rhetorik unter ihrem neuen Führer Matteo Salvini längst aufgegeben hat und sich unter dem Schlachtruf "Die Italiener zuerst" sammelt. Die Lega beute lieber stattdessen lieber die Angst vor Kriminalität gegen die Einwanderer aus. Christian Wöhst, Fachmann für Großbritannien im Team, verwies auf Großbritannien, wo Kulturpanik in der EU-Austrittskampagne dagegen eine Rolle spielte. Sie habe sich im englisch-schottisch-walisisch-irischen Vereinigten Königreich aber nicht auf eine britische, sondern auf englische Kultur bezogen. "Auch in Großbritannien herrscht große Unklarheit, was das Britische eigentlich ausmacht."

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