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Mildes Urteil für Totschläger: Massive Kritik an Justiz in Thüringen

Thüringen steht vor einem Justizskandal. Staatsanwaltschaft und Landgericht in Erfurt sind massiver Kritik ausgesetzt, weil ein Verfahren gegen einen zumindest früher rechtsextremen Schläger mehr als fünf Jahre dauerte und mit einem milden Urteil endete. Der Mann hatte im Januar 2003 den Arbeitslosen Hartmut Balzke getötet und einen Punk schwer verletzt.

Von Frank Jansen

Erfurt/Berlin - Das Landgericht verhängte am Donnerstag, wie berichtet, gegen den Täter Dirk Q. nur eine Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Auch während des Verfahrens war Q. frei, obwohl er zur Tatzeit zweifach unter Bewährung gestanden hatte. „Ich bin fassungslos“, empörte sich am Freitag der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag, Heiko Gentzel. „Das ist ein Justizskandal, wie ich ihn nicht für möglich gehalten habe“. Gentzel warf Staatsanwaltschaft und Landgericht „eine Kette von Fehlern“ vor. Gewalttätern werde signalisiert, „du kannst in Thüringen auf offener Straße einen Mann erschlagen und kommst mit Bewährung davon“.

Auf Antrag der Fraktionen von SPD und Linkspartei wird sich der Justizausschuss mit dem Fall befassen. Auch der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Roland Hahnemann, sprach von einem Skandal. Der Ablauf des Verfahrens sei „verheerend“. Ähnliche Reaktionen gab es über Thüringen hinaus. „Ich erwarte, dass das Landgericht Erfurt der Öffentlichkeit erklärt, welche Konsequenzen es aus dem Justizskandal zieht“, sagte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD). Nach Ansicht seiner Amtskollegin von der Linken, Petra Pau, sind Verfahren und Urteil „geradezu eine Einladung an rechtsextreme Gewalttäter, weiter zuzuschlagen“. Der frühere Justizsenator von Berlin, Wolfgang Wieland, der für die Grünen im Bundestag sitzt, sieht „den Grundsatz gröblich verletzt, die Strafe habe der Tat auf dem Fuße zu folgen“. Das Verfahren habe keinerlei abschreckende Wirkung, „die gerade bei der rechtsextremen Szene so notwendig ist“, sagte Wieland. Er regte an, der Thüringer Landtag solle darüber sprechen, wie die Organisation der Justiz zu verbessern wäre.

Harte Vorwürfe äußerte auch der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan J. Kramer. Er sei entsetzt, denn „offenbar waren in diesem Fall das Leben eines Arbeitslosen und die Gesundheit eines Punks nicht so viel wert wie die schonende Behandlung eines einschlägig aufgefallenen Täters“.

Das Justizministerium in Erfurt sieht keinen Skandal, aber einen „bedauernswert langen Zeitraum zwischen Anklageerhebung und Prozess“. Dies sei jedoch die Ausnahme, sagte ein Sprecher. Thüringen nehme bundesweit bei der Erledigung von Strafsachen einen Spitzenplatz ein. Im Landgericht hieß es, das Verfahren habe so lange gedauert, weil die zunächst zuständige Strafkammer mit Fällen befasst war, bei denen die Tatverdächtigen nach tödlichen Verbrechen in Untersuchungshaft saßen. Bei Dirk Q. hatte die Staatsanwaltschaft darauf verzichtet, einen Haftbefehl zu beantragen.

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