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Militärstrategie: Afghanistan: Versagen ist keine Option

Die US-Regierung streitet über die richtige Strategie für Afghanistan. Die öffentliche Debatte kreist dabei um zwei Fragen.

Im Weißen Haus hat die entscheidende Phase der Beratungen über die künftige amerikanische Strategie in Afghanistan begonnen. Im Laufe der kommenden zwei Wochen wird Präsident Barack Obama mehrfach für einige Stunden mit Vizepräsident Joe Biden, Verteidigungsminister Robert Gates, Außenministerin Hillary Clinton, Sicherheitsberater Jim Jones, führenden Militärs, Sonderbotschafter Richard Holbrooke und weiteren Experten die Lage analysieren. Der Oberbefehlshaber in Afghanistan, General Stanley McChrystal, wird per Videokonferenz zugeschaltet. Das erste solche Treffen am Mittwoch dauerte drei Stunden. Diese ungewöhnlich langen Zeitfenster im Terminkalender des Präsidenten zeigen den Ernst der Lage.

Die öffentliche Debatte kreist um zwei Fragen: Wird Obama zum zweiten Mal binnen weniger Monate eine neue Afghanistanstrategie verkünden und damit den Kurs, den er im Februar und März verkündet hatte und mit dem er sich von seinem Vorgänger George W. Bush absetzen wollte, korrigieren? Und: Wird er 2010 Amerikas Truppen in Afghanistan noch einmal deutlich aufstocken, nachdem er sie zwischen Frühjahr und Jahresende 2009 von rund 32 000 auf 68 000 Mann verstärkt hat? McChrystal hat laut US-Medienberichten in einer internen Analyse für das Pentagon weitere 40 000 Soldaten gefordert. Andernfalls drohe eine Niederlage im Krieg gegen Taliban und Al Qaida. Das Weiße Haus sagt, die Truppenentscheidung könne erst am Ende des Prozesses getroffen werden. Erst komme die Lageanalyse, daraus ergebe sich die Strategie und erst aus der folge, wie viele Soldaten und welche Art von Einheiten benötigt werden.

Einfluss auf diese Debatten hat auch das veränderte Meinungsbild in den USA. Unter dem Eindruck des Vorwurfs weitreichender Fälschungsversuche bei den Wahlen und der generellen Korruption in der Regierung unter Präsident Hamid Karsai sagt inzwischen eine Mehrheit, Afghanistan sei den Kampf und die Opfer amerikanischer Soldaten nicht wert. Insbesondere unter Demokraten schwindet die Unterstützung für den Krieg. Die „Washington Post“ berichtete am Donnerstag, wenn Obama zu dem Schluss komme, dass er die US-Truppen verstärken müsse, werde er dafür keine Mehrheit unter demokratischen Abgeordneten finden und sich auf die Republikaner im Kongress stützen müssen. Das aber werde weitreichende Folgen für seine anderen Ziele haben; zum Beispiel könnte er sich gezwungen sehen, den Konservativen dann bei der Gesundheitsreform noch weiter entgegenzukommen.

In Obamas Regierung gehen die Meinungen auseinander, wie es in Afghanistan weitergehen soll und ob mehr Truppen die Erfolgschancen erhöhen oder eher schaden. Vizepräsident Biden argumentiert, noch mehr ausländische Truppen wären zwar militärisch eine Hilfe, könnten aber die Einheimischen entfremden, weil sie rein optisch den Eindruck einer Besatzung verstärken. Die Berater favorisieren auch unterschiedliche Strategien: Sollen die westlichen Truppen möglichst flächendeckend aufgestellt werden, um die Zivilbevölkerung vor Angriffen der Taliban zu schützen? Oder soll man diese Aufgabe weitgehend der afghanischen Armee und Polizei überlassen, die US-Truppen aus Städten und Dörfern zurückziehen und gezielt zur Bekämpfung der Rückzugsräume der Taliban einsetzen? Je nachdem würden sehr unterschiedliche Einheiten benötigt: für das eine Elitekampfeinheiten, für das andere Verbände, die sich auf die Ausbildung afghanischer Kräfte spezialisieren.

Übereinstimmung herrscht in der Enttäuschung über die afghanischen Machthaber. Der Rückhalt für Karsai ist wegen Wahlfälschung und Bestechlichkeit gesunken. Das gilt heute in den USA als größtes Hindernis beim Bemühen, „die Köpfe und Herzen der Afghanen zu gewinnen“. Der Westen hat keinen verlässlichen Partner im Land für die Stabilisierung und den Staatsaufbau, weil auch keine mehrheitsfähige Alternative zu Karsai in Sicht ist. Deshalb wird in Amerika inzwischen offen die prinzipielle Frage gestellt: Hat es überhaupt Sinn, noch mehr Soldaten und Geld in Afghanistan zu investieren?

Die Skeptiker ziehen Parallelen zu Vietnam. Auch dort hätten die Militärs immer wieder mehr Truppen gefordert, die jeweiligen Präsidenten hätten die Wünsche über lange Zeit erfüllt, aber am Ende habe der erfolglose Abzug nach vielen Opfern gestanden.

Präsident Obama und der neue Nato- Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen lehnen solche Sichtweisen rundweg ab. „Failure ist not an option“, bekräftigen beide immer wieder: Ein Abzug unter Misserfolg komme gar nicht in Betracht. Rasmussen sagte bei seinem Besuch in Washington in dieser Woche: „Grundsätzlich teile ich die Sicht von General McChrystal. Eine Exit-Strategie wäre die falsche Politik. Von entscheidender Bedeutung ist es, zu bekräftigen, dass wir so lange bleiben, bis das Land stabil ist.“ Obama sagt es genauso.

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