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Politik: Milliarden und Zufälle

Den bösen Buben in einem abgekarteten Schurkenspiel hatte die deutsche Öffentlichkeit, damals im Juli 2000, bereits im Voraus ausgemacht: Joseph Blatter, den alle Welt nur Sepp nennt. Wenn alles nach Plan verlaufen würde, könnte Blatter ein paar alte Rechnungen begleichen.

Den bösen Buben in einem abgekarteten Schurkenspiel hatte die deutsche Öffentlichkeit, damals im Juli 2000, bereits im Voraus ausgemacht: Joseph Blatter, den alle Welt nur Sepp nennt. Wenn alles nach Plan verlaufen würde, könnte Blatter ein paar alte Rechnungen begleichen. Im Juli 1998 war der machtbewusste Schweizer zum neuen Präsidenten des Weltfußballverbandes Fifa gewählt worden, und bis heute hält sich das Gerücht, dass Blatter vor der Wahl einige afrikanische Delegierte nicht nur mit guten Argumenten von seiner Person überzeugt hatte. Immerhin zeigte sich der neue Fifa-Präsident später dankbar für das Vertrauen und versprach den Afrikanern, im Jahr 2006 die Weltmeisterschaft ausrichten zu dürfen.

Nun wird der Fußballweltverband nicht von Sepp Blatter alleine regiert. Palastrevolten haben sich immer mal wieder angedeutet, so wieder in diesen Tagen. Aber bei der Entscheidung um die Vergabe der WM 2006 schien es, als könnte Blatter sein Versprechen einlösen. Bei einem Patt zwischen Deutschland und Südafrika würde Blatters Stimme den Ausschlag geben, und Blatter würde für Südafrika stimmen. Am Ende kam alles anders. Weil sich Charles Dempsey der Stimme enthielt, blieben Blatters Kungeleien erfolglos. Deutschland bekam die WM, was hierzulande wie ein Sieg der gerechten Sache gegen die dunklen Mächte der Korruption gefeiert wurde.

Aber war es so? Wenn man den beiden Münchner Journalisten Thomas Kistner und Ludger Schulze von der "Süddeutschen Zeitung" glaubt, ist es eine Legende, dass die Deutschen die letzten Ehrlichen in der verdorbenen Geschäftswelt des Fußballs sind. Die Vergabe der WM 2006 an Deutschland war laut Kistner und Schulze eine "konzertierte ökonomische Meisterleistung der deutschen Wirtschaft".

In ihrem Buch "Die Spielmacher" erzählen die beiden Autoren von den Strippenziehern und Profiteuren im Fußball: von Franz Beckenbauer (einem "journalistischen Amokläufer") und Leo Kirch (dem "heimlichen Besitzer des deutschen Fußballs"), von Fedor Radmann, dem Mann im Hintergrund, und Horst Dassler, dem heimlichen Herrscher des Weltsports aus Herzogenaurach. Am Ende berichten Kistner und Schulze noch einmal in aller Ausführlichkeit von der Affäre Daum. Warum, das erschließt sich dem Leser nicht so recht. Auch Thomas Bach, der Vizepräsident des IOC, passt nicht in die Abhandlung, zumal die Vorwürfe gegen ihn nicht belegt sind. Ein bisschen wirkt dies wie falscher Eifer, und das schadet leider der Glaubwürdigkeit des gesamten Buchs.

Trotzdem ist "Die Spielmacher" in weiten Teilen ein spannendes Werk. Es ist auch ein ernüchterndes Buch für alle romantischen Fußballfans, und es ist ein Lehrstück für investigativen Journalismus. Man muss Informanten nicht mit dicken Schecks zum Reden bringen oder in gut bewachte Büros einbrechen, um geheime Dokumente abzufotografieren - eigentlich geht es nur darum, Zusammenhänge zu erkennen.

Ist es wirklich Zufall, dass der Bundessicherheitsrat acht Tage vor der Fifa-Entscheidung die Lieferung von 1200 Panzerfäusten nach Saudi-Arabien genehmigt? Vielleicht. Auffallend aber ist, "dass es Zufälle dieser Art nur so hagelte - und zwar genau in jenen Regionen, in denen die deutschen Bewerber ihre Stimmen akquirierten". In Südkorea investiert Daimler-Chrysler 800 Millionen Mark; Bayer erwirbt einen südkoreanischen Kunststoffplatten-Hersteller, kündigt Großinvestitionen in Thailand an und will in China einen neuen Großstandort aufbauen; Siemens stellt eine Milliardenoffensive auf dem asiatischen Mobiltelefonmarkt in Aussicht. All das passiert Ende Juni und Anfang Juli 2000, unmittelbar vor der WM-Entscheidung der Fifa. Zufall?

Die Deutschen haben offensichtlich aus der Pleite Berlins bei der Olympiabewerbung 2000 gelernt. Damals hatten die Bedenkenträger über die hohen Kosten gemotzt, diesmal wird die WM-Bewerbung in aller Diskretion von der deutschen Wirtschaft finanziert. "Keine Steuergelder, das bedeutet auch keine öffentliche Kontrolle der Rechnungen", schreiben Kistner und Schulze. Und es bedeutet zunehmend Abhängigkeit von den Geldgebern. Die Folgen sind für den Fußball gefährlich: "Fußball war eine kolossale Klammer um diese Gesellschaft. Nun wird Fußball elitär, er verliert die Bodenhaftung, wird weggesperrt und entfernt sich von den Leuten."

Reiner Calmund, Manager von Bayer Leverkusen, hat in einem unbedachten Moment mehr preisgegeben, als es den hohen Herren seines Mutterkonzerns vermutlich lieb war. Calmund streitet mit Vehemenz für Leverkusen als WM-Spielort - weil sich Bayer um die Bewerbung verdient gemacht habe. Da zählen auch die Vorgaben der Fifa nichts, die für ein WM-taugliches Stadion mindestens 40 000 Sitzplätze vorschreibt. Die Bayarena verfügt nur über 22 500. Sepp Blatter hat im Interview mit dem Tagesspiegel seine Zustimmung signalisiert: "Diese Vorgabe ist ein alter Zopf." Oder mit anderen Worten: Wer zahlt, schafft an. Das ist auch im Fußball schon lange so.

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