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Politik: Mir geht’s Europa

ENDE DES EU-KONVENTS

Von Christoph von Marschall

Recinzione di rete metallica – so nennen Italiener den Maschendrahtzaun. Der seit einem Sommerlochhit in Deutschland zum Synonym für Streit unter Nachbarn wurde. Was lehrt uns solcher Zoff? Der ToskanaLiebhaber Robert Gernhardt möchte im Streit um Berlusconi, Schröders Italienurlaub und antideutsche Pöbeleien den Beweis sehen, dass Menschen und Völker in Europa sich wirklich nahe gekommen sind.

Europa ist, wenn es stinkt und kracht? Wer in diesen Tagen das Gespräch darüber sucht, in welcher Verfassung Europa ist, wird wenig über den Konvent hören, der gestern seine Arbeit an der ersten gemeinsamen Verfassung des Kontinents abgeschlossen hat. In Brüssel herrscht Euphorie, der Konvent habe Geschichte geschrieben, Europa sei einen großen Schritt weiter. Das ist richtig. Und doch ist der historische Moment an den meisten Bürgern spurlos vorbeigegangen. Das konnten auch 16 Monate öffentlicher Beratungen in einem denkbar bürgernahen Modell von Volksvertretung nicht ändern. Kompetenzabgrenzung, Mehrheitsentscheidung, Vetorecht, selbst der Grundrechtekatalog – das geht den Menschen nicht nahe. Die komplizierten EUMechanismen sind undurchschaubar und Brüssel weit weg.

Für Europa interessiert sich die Öffentlichkeit, wenn es Streit gibt. Nicht um Institutionen und Machtverteilung, sondern Streit, der die nationalen Emotionen anspricht: Stolz, Ablehnung, Identität. Oder wenn die EU selbst als Feindbild herhält. Zum Beispiel, als die Kommission unlängst – angeblich! – nackte Mädchen auf Boulevardtiteln verbieten wollte.

Krach ums Personal oder die richtige Politik öffnet die Augen für Europa? Jedenfalls zog der Konvent dann Aufmerksamkeit auf sich. Im April, als der Vorsitzende Valery Giscard d’Estaing das französische Verfassungsmodell durchzusetzen versuchte, das prompt gerupft wurde. Sinn und Grenzen gemeinsamer Außenpolitik wurden zum Thema, als Europa sich über den Irak zerstritt. Deutschland diskutierte über Macht und Aktionsradius des künftigen Super-Außenministers, als Joschka Fischer vorgeschlagen wurde. Aber auch dieses Interesse reichte nur bis zum nationalen Horizont. Welcher Grüne ersetzt ihn in Berlin, kommt Günter Verheugen (SPD) dann aus Brüssel zurück? Keine Frage, Joschka Fischer hat das Zeug für das Amt und genießt international Respekt. Darauf dürfen die Deutschen stolz sein, zumal sie für den höheren Posten des Kommissionspräsidenten, der ihnen auch mal wieder zustände, keinen Kandidaten haben; üblicherweise einen amtierenden oder früheren Regierungschef.

Selbst die Personalie Fischer brachte die Deutschen nicht dazu, sich näher mit Europas Mechanismen zu beschäftigen, die Fischers Traum zerstören könnten. Den neuen Posten gibt es erst, wenn die Verfassung in allen (demnächst 25) EUStaaten ratifiziert ist, also kaum vor Ende 2006. In manchen sind dafür Volksabstimmungen nötig, die scheitern können. Fischer steht vor der Wahl, 2004 in die neue Kommission zu gehen – mitten in der deutschen Wahlperiode –, obwohl es das Amt, das ihn reizt, noch nicht gibt. Oder auf einen späteren Wechsel zu hoffen, ohne zu wissen, wann das ist und ob er dann (2006, 2007?) überhaupt noch Bundesaußenminister ist. In dem Moment müssten zudem drei Personen freiwillig für ihn Platz in Brüssel machen: der Außenkommissar und der hohe Vertreter für Außenpolitik, deren Ämter dann zusammengelegt werden, sowie, aus nationalen Proporzgründen, der deutsche EU-Kommissar. Konflikte um Posten und Politik schärfen das Wissen über Europa? In Fischers Fall nicht einmal das.

Die Nationalstaaten und ihre Innenpolitik sind für Europas Völker der Resonanzboden – und bleiben es noch lange. Der Konvent hat versucht, die vielfältigen Kulturen, Traditionen und Rechtsauffassungen zu übersetzen in ein gemeinsames Regelwerk. Die einen nennen es Verfassung, andere schrecken vor diesem Begriff zurück. Die EU ist kein Staat, es gibt kein gemeinsames Volk. Europa, das ist die Vielfalt seiner Nationen. Trotz Binnenmarkt, Euro und grenzenlosem Reisen steht die Integration in den Köpfen noch ganz am Anfang. Vielleicht werden künftige Generationen sich enger zusammenschließen wollen, wer weiß? Für das Europa von heute geht der Verfassungsentwurf weit, fast zu weit. Die Realität endet eben noch am Maschendrahtzaun.

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