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Politik: Mireille Mathieu und Tränengas

Der Abend hat zwei Gesichter: Sarkozys Anhänger feiern, seine Gegner werfen Steine

Paris, am Sonntagabend. Nicolas Sarkozy ist zum neuen französischen Präsidenten gewählt, und eine riesige Menschenmenge strömt auf dem „Place de la Concorde“ zusammen. Strahlende Gesichter, blaue Luftballons, die Trikolore und „Sarko“-Rufe. Gleich wird die Siegesfeier für den frisch gewählten Präsidenten starten, für die die konservative Regierungspartei UMP Mireille Mathieu, Enrico Macias und andere populäre Sänger aufgeboten hat.

Zur selben Stunde strömen junge Leute zu dem ein paar Kilometer weiter östlich gelegenen „Place de la Bastille“. Sie entrollen Spruchbänder. Einige Wagemutige klettern an der Juli-Säule hoch und befestigen ein Spruchband mit der Forderung „Widerstand gegen den Sarkozysmus“. Noch schaut die Polizei, die mit mehreren Mannschaftswagen an den Straßenecken Aufstellung bezogen hat, nur zu. 1600 der insgesamt 3000 Polizisten, die für den Wahlabend im Pariser Großraum mobilisiert wurden, sind in der Hauptstadt eingesetzt, die meisten in den östlichen und nördlichen Arrondissements. Bahnhöfe und Metrostationen stehen unter Bewachung. „Sarko – Faschist, nirgendwo Gerechtigkeit, überall nur Polizei“, skandiert die Menge auf dem „Place de la Bastille“, die sich schnell vergrößert. Dann fliegen Bierdosen und Flaschen, die Polizisten gehen vor Steinwürfen in Deckung und verschießen Tränengasgranaten. Scheiben gehen zu Bruch. Müllcontainer werden umgeworfen. Gegen ein Uhr setzen Wasserwerfer dem Krawall ein Ende. Das weite Rund vor der Bastille-Oper ist ein symbolischer Ort. Als der Sozialist François Mitterrand 1981 die Wahl gewonnen hatte, tanzten die Pariser trotz eines Gewitters bis in den frühen Morgen. Bei späteren Wahlen wurde der Sieger am Platz der Republik oder am Concorde-Platz gefeiert.

Inzwischen wird auf Wahlen auch mit Gewalt reagiert. Nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in Lille, Lyon, Nantes, Rennes, Toulouse und anderen großen Städten protestieren an diesem Abend vornehmlich junge Leute mit Randale gegen den Wahlsieger. Und natürlich auch in den Pariser Vorstädten, deren Namen noch vom Aufruhr der Jugend im Herbst 2005 in Erinnerung sind, kommt es zu Zusammenstößen mit der Polizei. 730 Autos gehen in Flammen auf. Die Polizei hatte zunächst 270 Festnahmen gemeldet und von „insgesamt keiner großen Gewaltwelle“, etwas mehr als an einem Nationalfeiertag und etwas weniger als in einer Silvesternacht, gesprochen. Später stellte sich dann heraus, dass die Ausschreitungen doch heftiger gewesen waren.

Dabei ist nicht jedes brennende Auto Ausdruck von Protest. Da ist oft auch Versicherungsbetrug im Spiel. Doch diese Reaktion auf den Wahlausgang zeigt auch, dass die Kluft zwischen den zwei Frankreichs, die der neu gewählte Präsident zu einen verspricht, noch größer geworden ist. Nur etwa 70 Kilometer liegen zwischen Neuilly-sur-Seine und Clichy-sous-Bois. In Wahrheit liegen Welten zwischen dem wohlhabenden westlichen Pariser Vorort, in dem Sarkozy lange Jahre Bürgermeister war, und dem durch Einwanderung und Armut gekennzeichneten Ort im Osten. 87 Prozent der Wähler stimmten in Neuilly für Sarkozy, in Clichy gaben 61 Prozent ihre Stimme der Sozialistin Ségolène Royal. Ähnlich fällt der Vergleich zwischen anderen Orten im Speckgürtel und denen am Rand der Wohlstandsgesellschaft aus. Gemeinsam ist allen nur die hohe Wahlbeteiligung von über 80 Prozent.

Mohamed Mechmache, dem Präsidenten der Vereinigung „AC le Feu“ in Clichy-sous-Bois, die nach dem Tod zweier Jugendlicher und den Unruhen von 2005 bei den jungen Leuten dafür geworben hatte, zahlreich zur Wahl zu gehen, steht die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Die Reporter in- und ausländischer Medien hätten sich nur dafür interessiert, ob es in Clichy nach der Wahl brennen wird oder nicht, bedauert er. Aber in Clichy blieb es nach den Maßstäben der Polizei ruhig. Nur zwei Fahrzeuge gingen in Flammen auf.

Ihren Blick haben Mohamed Mechmache und seine Freunde auf die Parlamentswahl im Juni gerichtet. Das Wort „Revanche“ ist in aller Munde, ein Sieg der Linken, um die Machtfülle des neuen Präsidenten einzugrenzen. „Mathematisch“ sei dies möglich, glauben sie gegen alle Erfahrung bei früheren Wahlen. „Wir haben die demokratischen Regeln akzeptiert“, heißt es, „und möglicherweise hätten auch bei einem Sieg Royals Autos gebrannt.“

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