zum Hauptinhalt
In der Region Idlib sind bei Kämpfen in den vergangenen Wochen 250 Menschen gestorben, Hunderttausende sind auf der Flucht.

© Abdulaziz Ketaz/AFP

Missbrauch von UN-Informationen: Gezielte Angriffe auf Schulen und Kliniken in Idlib

Die UN haben GPS-Daten von zivilen Einrichtungen weitergegeben um sie zu schützen. Das hat sie aber zu Angriffszielen gemacht.

Hilfsorganisationen im syrischen Idlib werfen syrischen und russischen Militärs vor, UN-Informationen über die Lage von Schulen und Krankenhäusern für gezielte Angriffe auf diese zu missbrauchen. „Wenn man die Koordinaten weitergibt, dann werden genau diese Einrichtungen angegriffen“, sagte Mohannad Othman, Chef der Al-Sham-Stiftung, in Istanbul.

Die syrische Armee und die russische Luftwaffe verstärken seit Wochen ihre Angriffe in Idlib, der letzten Rebellenhochburg in Syrien. Einen Appell von US-Präsident Donald Trump, die Kämpfe einzustellen, wies Russland am Montag zurück.

Die Vereinten Nationen hatten im vergangenen Jahr die GPS-Koordinaten von insgesamt 235 Schulen, Kliniken und anderen zivilen Institutionen in Idlib an die syrische Regierung sowie Russland und die Türkei geschickt. Damit sollten diese Einrichtungen in der Provinz – wo 3,5 Millionen Menschen leben – geschützt werden.

Tatsächlich aber würden die GPS-Daten von Syrern und Russen für Angriffe genutzt, sagte Othman. Das UN-Amt für die Koordinierung humanitärer Hilfsmaßnahmen (OCHA) in Genf ließ die Bitte um Stellungnahme zu den Erkenntnissen der Hilfsorganisationen am Montag unbeantwortet.

Mohammed Zahed al Masri von der syrischen Ärztevereinigung PAC sagte in Istanbul, auch die Kennzeichnung von Fahrzeugen oder Gebäuden mit dem Roten Kreuz sei mittlerweile zu gefährlich. „Wenn ein Fahrzeug dieses Zeichen hat, wird es angegriffen.“

Im September hatte die Türkei mit Russland eine Waffenruhe für Idlib ausgehandelt, die eine Massenflucht von mehreren Millionen Menschen in die benachbarte Türkei vermeiden soll. Mit der Begründung, gegen Terroristen vorgehen zu müssen, greifen Syrer und Russen in jüngster Zeit aber wieder verstärkt in Idlib an. Dabei werden nicht nur zivile Einrichtungen beschossen, sondern auch Kornfelder in Brand gesetzt, um Zivilisten zu vertreiben.

Seit dem Beginn der derzeitigen Offensive im April zählten die Hilfsorganisationen in Idlib insgesamt 29 Angriffe auf Schulen, 24 auf Krankenhäuser und Krankenstationen und sechs auf Einrichtungen der Zivilverteidigung. Mehr als 250 Zivilisten seien ums Leben gekommen.

Auch in Aleppo wurden humanitäre Einrichtungen angegriffen

Ein Zusammenschluss ziviler Hilfsorganisationen teilte mit, in den vergangenen Wochen seien mehr als 300.000 Menschen in Idlib aus den Kampfgebieten geflohen. Rund 200.000 von ihnen müssen unter freiem Himmel übernachten, viele drängen sich in der Gegend an der türkischen Grenze. Es handele sich um die schlimmste Vertreibung während einer Schlacht im Syrien-Krieg, der mittlerweile acht Jahre andauert.

Die „Weißhelme“, eine Organisation des syrischen Zivilschutzes, geben aufgrund all dieser Vorkommnisse die GPS-Daten ihrer Einrichtungen nicht an die UN weiter. Sie verweisen darauf, dass bereits in der Schlacht um die nordsyrische Wirtschaftsmetropole Aleppo vor drei Jahren die Weitergabe von Lagedaten humanitärer Einrichtungen gezielte Luftangriffe nach sich gezogen habe.

Auch in Idlib dürften die Gefechte weitergehen. In der Provinz hätten sich viele „Terroristen und Kämpfer“ versammelt, sagte der russische Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow am Montag. Moskau betont, die Türkei habe es trotz entsprechender Zusagen nicht geschafft, die Extremisten in Idlib von Angriffen auf russische und syrische Militäreinrichtungen und Stellungen in der Nähe von Idlib abzuhalten. Große Teile der Provinz werden von der Dschihadisten-Allianz HTS beherrscht.

Die Stellungen der Extremisten in Idlib würden deshalb „neutralisiert“, sagte Peskow. Er wies damit Trumps Forderung vom Sonntag zurück, das „Schlachten“ in Idlib zu beenden. Trump hatte auf Twitter den Tod unschuldiger Menschen beklagt und die Frage gestellt, welchen Nutzen die Kämpfe in der Provinz für Russland und Syrien hätten.

Der syrische Aktivist Mohannad Othman sagte am Montag, er erwarte nicht, dass Trumps Intervention etwas an der Lage in Idlib ändern werde. „Erst heute Morgen sind wieder drei Menschen bei einem Angriff ums Leben gekommen.“ Bis zum Nachmittag stieg die Zahl der Todesopfer am Tag nach Trumps Appell auf sechs.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false