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Die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche gestaltet sich schwierig.

© dpa

Missbrauchsfälle in der Kirche: In Deutschland kommt die Aufklärung nicht voran

Erstmals macht der Vatikan einem hochrangigen Kirchenmitarbeiter wegen Missbrauchs den Prozess. In Deutschland dauert die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle noch an. Sehr viel passiert ist bisher nicht.

Wie am Mittwoch bekannt wurde, hat die Vatikan-Gendarmerie Erzbischof Jozef Wesolowski (66) verhaftet – „auf ausdrückliche Anordnung des Papstes“, wie es hieß. Wesolowski wird vielfacher Kindesmissbrauch vorgeworfen. Als Botschafter des Papstes in der Dominikanischen Republik soll er „in Ausnutzung ihrer prekären sozialen Lage“ sexuelle Dienstleistungen bei Jugendlichen gekauft und sich an den einschlägigen Plätzen für die Prostitution mit Minderjährigen herumgetrieben haben. Bereits Ende Juni wurde ihm das Priesteramt entzogen, jetzt soll ihm der Prozess gemacht werden, zwar im Vatikan, aber nach weltlichem Recht. Es droht ihm eine Haftstrafe von mindestens zehn Jahren.

Es ist das erste Mal, dass ein Erzbischof verhaftet wurde. Es ist auch das erste Mal, dass der Vatikan einem hochrangigen des Missbrauchs angeklagten Kirchenmitarbeiter den Prozess macht. Papst Franziskus hatte wiederholt angekündigt, hart gegen Missbrauchstäter vorgehen zu wollen. Im Mai hatte er sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche mit dem „Abhalten einer schwarzen Messe“ verglichen. Am Donnerstag hat Franziskus zudem einen Bischof in Paraguay rausgeschmissen, der einen Kollegen als homesexuell bezeichnete.

Dass Franziskus seinen Worten jetzt Taten folgen lässt, beobachten Missbrauchsopfer auch in Deutschland mit großem Interesse. „Wenn Wesolowski tatsächlich der Prozess gemacht wird,  wäre das ein starkes Signal“, sagt Matthias Katsch, der Sprecher der Betroffenen-Vereinigung „Eckiger Tisch“. In dem Gremium versammeln sich Menschen, die als Jugendliche von Jesuitenpatern missbraucht wurden. „Es wäre ein Zeichen dafür, dass  die Kirche entschieden gegen Täter in den eigenen Reihen vorgeht, egal welche Positionen sie bekleiden“, sagt Katsch. Er hofft, dass dieses Signal auch in Deutschland gehört wird und  auch hierzulande manchen  Bischof  motiviert,   entschieden gegen Missbrauchstäter vorzugehen und auch die Fälle der Vergangenheit aufzuklären.

Signalwirkung für die Bundesrepublik?

Von einer solchen Signalwirkung bis nach Deutschland will man in der Deutschen Bischofskonferenz nichts wissen. „Das ist eine rein vatikanische Angelegenheit“, sagte Matthias Kopp, der Sprecher der Bischofskonferenz, am Donnerstag. „Die kommentieren wir nicht.“

Im März hatte die Deutsche Bischofskonferenz ein Forschungskonsortium um den Neurowissenschaftler Harald Dreßing vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim mit der Aufarbeitung der Fälle sexueller Gewalt in der katholischen Kirche beauftragt. Der Gruppe gehören sieben Kriminologen, Psychologen und Soziologen an. Professoren an. Das Forschungsprojekt ist auf dreieinhalb Jahre angelegt und kostet die Kirche eine Million Euro. Die Forscher wollen Daten aus Kirchenarchiven auswerten und über Interviews mit Opfern und Tätern  Einsicht über das Vorgehen der Täter und über das Verhalten von Kirchenverantwortlichen in den zurückliegenden Jahrzehnten erhalten.

Es ist der zweite Anlauf in der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle. Im Januar 2013 war die Zusammenarbeit mit dem niedersächsischen Kriminologen Christian Pfeiffer gescheitert – unter anderem an der Frage, wer nach den Akten in den Kirchenarchiven sucht, ob das Forschungsteam in die Archive steigt oder Mitarbeiter der Kirche.

Die Auswertung dauert an

Doch seit März ist nicht viel passiert. Nach wie vor ist unklar, wie viele Bistümer sich in welcher Form beteiligen, bis in welche Zeit die Akteneinsicht zurückgehen soll und wer die Daten bereitstellt. Bei der Pfeiffer-Studie hatten sich neun Bistümer bereit erklärt, Akteneinsicht bis ins Jahr 1945 zurück zu gewähren. 18 Bistümer wollten lediglich Daten seit dem Jahr 2000 zur Verfügung stellen. Im März hieß es, dass es so auch  beim zweiten Anlauf gehandhabt werden solle. Doch nach Auskunft der Bischofskonferenz ist das noch nicht geklärt.

Man wolle jetzt zunächst mit den qualitativen Interviews mit Opfern und Tätern beginnen, um auf diesem Weg mehr über die Täterstrategien zu erfahren. Danach könne man gezielter nach Akten forschen, sagte der Sprecher der Bischofskonferenz.

Matthias Katsch vom „Eckigen Tisch“ beruhigt das nicht. Er  ist skeptisch, ob die Vergangenheit jemals aufgearbeitet wird, wenn man die Aufarbeitung der Kirche überlässt. Deshalb fordern er und viele andere Betroffene seit längerem, dass der Bundestag eine unabhängige Aufarbeitungskommission einsetzen soll, die Institutionen übergreifend die Vergangenheit beleuchtet.

Familienministerin Manuela Schwesig (SPD)und Johannes-Wilhelm Rörig, der unabhängige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, haben sich die Forderung zu eigen gemacht. „Nur so können wir der Gesellschaft das Ausmaß und die schweren Folgen für Betroffene deutlich machen“, sagte Rörig diese Woche. Er sei mit allen Bundestagsfraktionen in einem „guten Austausch“, was die Einsetzung einer solchen Forschungskommission angeht. Rörig hofft, dass sie vielleicht 2016 starten kann.

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