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Die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche gestaltet sich schwierig.

© dpa

Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche: Eine zweite Chance für die Aufklärung

Die katholische Bischofskonferenz unternimmt einen weiteren Anlauf, sexuelle Missbrauchsfälle wissenschaftlich aufzuarbeiten. Diesmal sollen auch Opfer in einem Beirat Einfluss nehmen können.

Die katholischen Bischöfe starten einen zweiten Anlauf, um die Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch in Deutschland systematisch aufzuarbeiten. Vor einem Jahr war ein Forschungsprojekt mit dem niedersächsischen Kriminologen Christian Pfeiffer gescheitert. Nun hat die Bischofskonferenz ein Konsortium von sieben Wissenschaftlern der Universitäten Heidelberg, Mannheim und Gießen mit dem Vorhaben beauftragt und eine Million Euro dafür bereitgestellt. Das Projekt ist auf dreieinhalb Jahre angelegt.

Das Forscherteam ist diesmal breiter aufgestellt und umfasst Kriminologen, Psychologen und Soziologen. „Wir sind unabhängig und werden das Projekt nach strengen wissenschaftlichen Kriterien durchführen“, sagte Harald Dreßing bei der Vorstellung am Montag in Bonn. Er leitet die Forensische Psychiatrie am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim und koordiniert das neue Projekt. Die Bischofskonferenz werde man nicht anders behandeln als andere Drittmittelgeber – auch was die Veröffentlichung der Ergebnisse angeht.

Die Datenlage ist dieselbe wie bei dem gescheiterten Vorhaben mit Christian Pfeiffer: In 18 Bistümern sollen Personalakten bis ins Jahr 2000 nach Spuren auf Missbrauchstaten durchforstet werden, in neun Bistümern bis ins Jahr 1945 zurück. Mehr als diese neun hatten sich zu „Tiefenbohrungen“ nicht bereit erklärt – was Opferverbände bereits vor drei Jahren kritisierten. Nach Ansicht von Harald Dreßing ist das kein Manko. „Aus Stichproben lassen sich valide Aussagen ableiten, das ist üblich.“

Harald Dreßing: „Die Perspektive der Opfer ist uns sehr wichtig“

Dreßing und seine Kollegen haben keinen direkten Zugriff auf die Kirchenakten. Das verbiete der Datenschutz, darin sind sich Bischöfe und Forscher diesmal einig. Kirchenmitarbeiter werden die Akten anonymisiert zur Verfügung stellen. Darüber hinaus wollen die Wissenschaftler mit 100 Opfern und 70 Tätern Einzelinterviews führen.

„Wir wollen eine ehrliche Aufklärung der Fälle. Die Opfer haben ein Recht darauf“, sagte der Trierer Bischof Stephan Ackermann am Montag. Er ist der Beauftragte für Missbrauchsfälle in der Deutschen Bischofskonferenz. Man erhoffe sich auch eine „vertiefte Einsicht über das Vorgehen der Täter und der Kirchenverantwortlichen“, um Rückschlüsse für Präventionsmaßnahmen ziehen zu können.

Anders als im Vorgängerprojekt sollen diesmal Betroffene an der Konzeption der Studie mitarbeiten. „Die Perspektive der Opfer ist uns sehr wichtig, sowohl was die Entwicklung der Forschungsinstrumente angeht als auch bei der Bewertung der Ergebnisse“, sagte Harald Dreßing. Die Betroffenen sollen das Projekt in einem Beirat begleiten. „Das begrüßen wir sehr und sind gespannt, ob der Ankündigung Taten folgen“, sagte Matthias Katsch. Er ist der Sprecher der Betroffenen-Initiative „Eckiger Tisch“ und hatte im Vorfeld kritisiert, dass die Kirche die Betroffenen nicht an der Auswahl des neuen Forscherteams beteiligt hat. „In den ein Jahr lang dauernden Vorbereitungen dieses Projektes gab es nicht einmal einen Versuch, auf Betroffenenvertreter zuzugehen“, sagt er.

„Die Zusammenarbeit mit den Betroffenen ist konstitutiv“, mahnte am Montag auch Johannes-Wilhelm Rörig, der unabhängige Missbrauchsbeauftragte bei der Bundesregierung. Die von der Bischofskonferenz in Auftrag gegebene Untersuchung sei ein wichtiger Schritt. Nach wie vor fehle es in vielen Institutionen an einer systematischen Aufarbeitung. Rörig und viele Opferverbände fordern schon seit langem eine unabhängige institutionenübergreifende Untersuchungskommission. Er habe dafür „positive Signale“ aus der Politik bekommen, sagte Rörig am Montag.

Am Wochenende hat auch Papst Franziskus einen weiteren Schritt zur Aufklärung von Übergriffen gegen Kinder unternommen und eine Kinderschutz-Kommission gegründet. Die acht Mitglieder, darunter vier Laien und auch eine von sexuellem Missbrauch betroffene Frau, sollen Maßnahmen entwickeln, um Kinder vor Übergriffen durch Geistliche zu schützen und Täter zu verfolgen. Seit 2001 müssen alle Bistümer weltweit ihre Missbrauchsfälle an die Glaubenskongregation in Rom melden, wo über das Vorgehen gegen die Täter entschieden wird.

Claudia Keller

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