zum Hauptinhalt

Politik: Misstrauen als Bürgerpflicht?

Von Gerd Appenzeller

Eigentlich ist die Sache einfach. Von jedem Kind, das in Deutschland geboren wird, von jedem Erwachsenen, der hier schon wohnt oder der aus dem Ausland zu uns kommt, wird künftig durch eine Speichelprobe ein genetischer Fingerabdruck genommen – und schnell verschwindet die Kriminalität aus Deutschland. Denn in der zentralen Datenbank beim Bundeskriminalamt kann man künftig jede Tatortspur mit den hinterlegten Datensätzen vergleichen und zack, wäre der Verbrecher überführt. Für das Kind geben die Eltern die Zustimmung zur Speichelprobe. Und die, die über sich selbst bestimmen können, werden ja wohl, informationelle Selbstbestimmung hin oder her, kaum Nein zu diesem simplen Verfahren sagen – wer kein schlechtes Gewissen hat …

Die schnelle Aufklärung des Mordes an Rudolph Moshammer heizt solche Spekulationen an. Vor allem Unionspolitiker wie Bayerns Innenminister Günther Beckstein fordern, dass der genetische Fingerabdruck künftig immer dann gesichert werden darf, wenn die Polizei ohnedies Identifizierungsmaßnahmen vornimmt. Bayerns Datenschutzbeauftragter, Reinhard Vetter, sieht genau hierin eine Gefahr von Orwell’scher Dimension: Das sei der erste Schritt zu einer genetischen Registrierung der Gesamtbevölkerung.

Genau das aber ist falsch. Der genetische Fingerabdruck registriert Merkmale, die zweifelsfrei zur Identifizierung eines Menschen führen. Eigenschaften und Krankheitsveranlagungen eines Individuums kann man damit nicht bestimmen. Selbst wer die ganze Bevölkerung durchtestet, erhält damit keine „gläsernen Menschen“. Aber auch ohne dieses Schreckgespenst ist die Perspektive abenteuerlich, denn natürlich bringt ein solches stasi-reifes Volksregister einen gigantischen Datenwust, aber nur relative Sicherheit. Es wären zwangsweise die Angaben über viele längst Verstorbene darunter, aber nicht jene aller Touristen.

Aber zeigt das Beispiel des Moshammer-Mörders nicht doch, wie sinnvoll die dauerhafte Registrierung all jener wäre, die irgendwann einmal mit der Polizei in Berührung kommen – siehe Beckstein? Arme Leute, kann man da nur sagen, denn im Laufe der Zeit fielen auch Unschuldige zu Tausenden der Beckstein’schen Datensammelwut zum Opfer. Und der Fall des Irakers Herisch A. zeigt eher die Lücken des Verfahrens. Er stand zwar unter dem Verdacht der Vergewaltigung und anderer Taten, wurde aber nie verurteilt. Zudem gab er die Speichelprobe freiwillig.

Auf ewig aufbewahren hätte man sie kaum können, auch im Falle eines Schuldspruchs nicht. Schließlich tauchen die meisten Verurteilungen irgendwann nicht mehr im polizeilichen Führungszeugnis auf. Über diesen Termin hinaus belastendes Material aus alten Verfahren zu konservieren, wäre rechtsstaatlich kaum haltbar. Was wir vermutlich eher brauchen, ist etwas anderes – das aber nicht auf freiwilliger Basis. Bei allen Straftaten, bei denen Wiederholungsgefahr besteht (nicht nur, wie jetzt, bei denen „von erheblicher Bedeutung“) muss künftig ein genetischer Fingerabdruck nicht nur des Verurteilten, sondern auch des Verdächtigten genommen werden können.

Natürlich können, wenn es sich nur um einen Verdacht dreht, Bedenken angemeldet werden. Den meisten Bürgern aber geht das ins Grundsätzliche hineinreichende Misstrauen gegen den Staat zu weit. Sie vertrauen darauf, dass es ein demokratischer Rechtsstaat ist. Und darauf, dass er ihnen größtmögliche Sicherheit gegen Verbrechen gewährleistet.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false