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Politik: Mit allen Mitteln

Viktor Orban, der 38-jährige, machtverwöhnte Regierungschef, ist nervös geworden. Seit er in der ersten Wahlrunde zum ungarischen Parlament eine unerwartete Niederlage gegenüber den Sozialisten hinnehmen musste, tourt er rastlos übers Land.

Viktor Orban, der 38-jährige, machtverwöhnte Regierungschef, ist nervös geworden. Seit er in der ersten Wahlrunde zum ungarischen Parlament eine unerwartete Niederlage gegenüber den Sozialisten hinnehmen musste, tourt er rastlos übers Land. Die bodenständige, gläubige Provinz soll richten, was das unbelehrbare Budapest verbockt hat. Land gegen Stadt, ein alter Konflikt in Ungarn: traditionsverbundenes Volksempfinden gegen linke, nihilistische Intellektuelle, - und immer noch: christliche Ungarn gegen landesfremde Juden.

Letzteres wird Orban sich natürlich hüten zuzugeben. Ohnehin steht er im Verdacht, mit den Rechtsextremen zu paktieren. Aber Orban versteht es, mit Stimmungen zu spielen. Jetzt, in der Endphase des Wahlkampfs, sagt der Regierungschef: Es gehe "nicht um eine Entscheidung zwischen zwei Parteien, sondern zwischen zwei Welten". Den Sozialisten, seinen Hauptgegnern, wirft er vor, die Bündnisgenossen des Großkapitals zu sein, das die braven Ungarn unterjoche und auf deren Kosten riesige Summen verdiene. Auch diese Redefigur - Großkapital knechtet Kleinbürger - ist aus der Geschichte bekannt und besetzt. Orban weiß, dass er den rechten Rand des politischen Spektrums mobilisieren muss. Denn die Parteien der Mitte hat er bereits geschluckt, und unentschlossene Wechselwähler gibt es kaum, weil Orban durch seinen polarisierenden Stil das Lagerdenken verfestigt hat. Beim ersten Wahlgang Anfang April hatten die Sozialisten unter ihrem parteilosen Spitzenkandidaten Peter Medgyessy 42,05 Prozent der Stimmen gewonnen, Orbans konservative Bürgerpartei (Fidesz) 41,12 Prozent. Den Sozialisten fiele unter den derzeitigen Bedingungen die Regierungsbildung leichter, da sie einen Koalitionspartner haben: die Freien Demokraten. Diese kamen auf 5,5 Prozent der Stimmen. Für die Stichwahl am Sonntag haben beide Parteien für die 131 noch offenen Wahlkreisen Absprachen getroffen: Wo ein sozialistischer Kandidat gute Aussichten hat, hat sich der liberale zurückgezogen und umgekehrt.

Orbans Fidesz dagegen steht allein da. Die rechtsextreme "Partei der Ungarischen Wahrheit und des Lebens" (Miep) ist an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Orban will nun auch in deren Lager um jede Stimme kämpfen - angesichts des knappen Resultats der ersten Runde verständlich. Um eine Mehrheit im Parlament zu erreichen, müsste Orban am heutigen Sonntag 85 der 131 Wahlkreise gewinnen. Bisher liegt der Fidesz aber nur in 56 vorne.

Der Wahlkampf ist schmutzig vor dieser entscheidenden Stichwahl. In Schulen versuchen Lehrer und Direktoren zugunsten Orbans auf Jungwähler oder auf Eltern einzuwirken. Der Fidesz verbreitet die Mär, die Sozialisten wollten alle Häftlinge freilassen oder Bausparförderungen und Sozialleistungen streichen. "Die Sozialisten werden alles wegnehmen, was uns lieb und teuer ist", propagiert Orban. Die Sozialisten lassen sich davon nicht aus ihrem Wahlkampfkonzept bringen. Sie bleiben betont ruhig und versöhnlich, halten sich mit Großveranstaltungen und im Ton ihrer Reden zurück. Manche von ihnen betrachten die Wahl offensichtlich schon als gewonnen. Als Orban sagt, "wir sind viele, aber noch nicht genug", entgegnet Medgyessy: "Wir sind genug." Neuerdings scheinen auch Orbans Berater zu erwägen, dass ein friedlicher Ton bei den Wählern besser ankommen könnte. "Wir glauben an die Macht der Liebe und der gesellschaftlichen Einheit", lässt sich Orban inzwischen zitieren. So brav ist er schon lange nicht mehr gewesen.

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