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Politik: Mit der falschen Einstellung

Zahlreiche deutsche Politiker haben Familienangehörige beschäftigt. Wie ist so etwas möglich?

Nach wochenlangen Spekulationen, einem turbulenten Tag und vielen Abstimmungen hat sich Bayerns Landtagspräsidentin Barbara Stamm durchgesetzt: Die CSU-Politikerin veröffentlichte die Namensliste aller Landtagsabgeordneten, die das bayerische System der Familienfinanzierung von Politikern für sich ausgenutzt haben oder hatten.

Wie sind die Regeln in Bayern?

Die Landtagsverwaltung hat sich dafür in Arbeit gestürzt und alle Unterlagen zu Arbeits-, Dienst- und Werkverträgen der Abgeordneten seit dem Jahr 2000 ausgewertet. Seither ist es den Landtagsmitgliedern untersagt, Familienangehörige ersten Grades auf Staatskosten zu beschäftigen. Allerdings brauchten die damals bereits unter Vertrag stehenden Ehepartner und Kinder dank einer großzügigen Altfallregelung bis zum heutigen Tag nicht gekündigt zu werden. Inzwischen sei eine derart lange Übergangsregelung „nicht mehr vermittelbar“, sagte Stamm. Man habe deshalb „schnell reagieren“ müssen. Dass es nun auch mit Blick auf die anstehende Landtagswahl am 15. September besonders schnell gehen muss, sagte sie nicht.

Die Bestandsaufnahme kommt auf 79 Abgeordnete, die ihre Familienmitglieder noch über das Jahr 2000 hinaus auf Steuerzahlerkosten beschäftigt haben. 56 aus der CSU, 21 aus der SPD, auch eine Grünen-Politikerin und ein Fraktionsloser sind dabei. Und neben den bekannten Kabinettsmitgliedern tauchen nun noch weitere Prominente auf: die frühere SPD-Landeschefin und spätere Bundesfamilienministerin Renate Schmidt etwa oder der Ex-Staatskanzleichef Siegfried Schneider und der langjährige Innenstaatssekretär Hermann Regensburger (beide CSU). Die meisten der Genannten allerdings sind nicht mehr im Landtag.

Bayerns Justizministerin Beate Merk und der Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, dagegen finden sich nicht auf der Liste, obwohl sie ebenfalls Familienangehörige beschäftigt hatten. Das liegt daran, dass das Verbot von 2000 nur Verwandte ersten Grades betraf. Geschwister oder Schwager dagegen durften weiter und bis zum heutigen Tag ohne Einschränkung eingestellt werden. Merk hatte ihre Schwester, Aiwanger seinen Schwager beschäftigt. Barbara Stamm sprach sich nun dafür aus, auch dieses Problem aus der Welt zu bekommen – und Bayerns Abgeordnetengesetz schnellstmöglich dem des Bundes anzugleichen, das auch Verwandte zweiten und dritten Grades außen vor hält. Voraussichtlich vom 1. Juni an soll dann auch den bayerischen Abgeordneten komplett verboten sein, Verwandte auf Staatskosten zu beschäftigen. Und vom 1. Oktober an sollen sie auch ihre Nebeneinkünfte veröffentlichen müssen.

Bayerns SPD-Kandidat Christian Ude scheint nun sein Thema für den Wahlkampf gefunden zu haben. Er bedauerte zwar, dass auch Sozialdemokraten Verfehlungen begangen hätten. Gleichwohl verlangte er den Rücktritt von fünf betroffenen Kabinettsmitgliedern der CSU. Justizministerin Merk ist nicht darunter.

Welche Regelungen gibt es

in den anderen Bundesländern?

In keinem einzigen anderen Bundesland war in den vergangenen Jahren so viel Vetternwirtschaft erlaubt wie in Bayern. Selbst die Beschäftigung von Verwandten zweiten Grades in Abgeordnetenbüros, also von Geschwistern, Großeltern oder Enkeln, ist nur noch in einem einzigen anderen Bundesland legal: in Brandenburg. Allerdings habe davon keiner Gebrauch gemacht, wie alle Fraktionen und die Landtagsverwaltung beteuern. In einem derart kleinen Landtag würde die Beschäftigung eines Verwandten sofort auffallen, hieß es, das traue sich niemand. Und Brandenburgs Abgeordnete stehen ohnehin unter Beobachtung: Gegen zwei aus  SPD und CDU wird wegen Wahlbetrugs ermittelt, weil sie nicht dort wohnten, wo sie kommunal wählten oder sich wählen ließen. Bei einem geht es wegen der Wohnortangaben zudem um unrechtmäßig abgerechnete Fahrtkostenpauschalen von 17 700 Euro. Allerdings ist in Brandenburg inzwischen auch eine Gesetzesänderung für Verwandtenbeschäftigung in der Mache, die bisherige Vorgaben weiter verschärft. Jedoch ist dies nicht den Fraktionsspitzen zu verdanken, sondern dem parlamentarischen Dienst. Dessen Mitarbeiter orientierten sich an Ländern wie Baden-Württemberg, Thüringen, NRW, Hamburg und Berlin, wo allenfalls Onkel, Tanten, Nichten und Neffen auf Steuerzahlerkosten beschäftigt werden dürfen. NRW hat zudem ein Über-Kreuz-Verbot für die Beschäftigung von Ehegatten in anderen Abgeordnetenbüros. In Sachsen, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Mecklenburg- Vorpommern bleiben auch Verwandte dritten Grades außen vor. Und ein generelles Verbot für Angehörigenbeschäftigung auf Staatskosten gibt es in Niedersachsen und Hessen. Für Bremen und das Saarland existiert keine Regelung, da die Mitarbeiter dort grundsätzlich nicht aus der Parlamentskasse bezahlt werden.

Wie ist die Mitarbeiterbeschäftigung bei Bundestagsabgeordneten geregelt?

Im Vergleich zu Bayern „geradezu vorbildlich“, findet der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim. Im Paragrafen 12 des Abgeordnetengesetzes ist vorgegeben, dass Büromitarbeiter nur mit Steuergeldern bezahlt werden dürfen, wenn sie mit dem Chef oder der Chefin weder „verwandt, verheiratet oder verschwägert sind oder waren“. Vor zwölf Jahren kam dann noch der Passus, dass auch „Lebenspartner“ von Abgeordneten außen vor bleiben müssten. Das sorgte vor kurzem für Verwirrung, als sich herausstellte, dass Dorothee Bär (CSU) ihren späteren Ehemann 30 Monate lang im Büro mitarbeiten ließ – und das Beschäftigungsverhältnis erst zwölf Tage vor der Eheschließung beendete. Formal gebe es daran nichts zu beanstanden, teilte Bundestagspräsident Norbert Lammert mit. Unter „Lebenspartner“ seien „nur solche gleichen Geschlechts“ zu verstehen, der Ausschluss bezieht sich nicht etwa auf uneheliche Lebensgefährten oder Geliebte. Letzteres lasse sich auch kaum gesetzlich regeln und überprüfen, meint Arnim. Aber „ein Geschmäckle“ habe Bärs Verhalten natürlich dennoch.

Welche Privilegien genießen bayerische Politiker?

In keinem anderen Bundesland hätten sich die Parteien den Staat derart unverfroren „zur Beute gemacht“ wie in Bayern, behauptet Arnim. Die Abgeordneten erhalten vergleichsweise hohe Diäten (7060 Euro) und eine steuerfreie Pauschale ohne Rücksicht auf tatsächliche Kosten (3214 Euro). Sie dürfen für Mitarbeiter weit mehr Geld ausgeben als ihre Kollegen in anderen Bundesländern – im Schnitt knapp 97 800 Euro jährlich (in NRW sind es nur 57 400). Hinzu kommen besonders üppige Zulagen für Fraktionsfunktionäre und Gehälter für Regierungsmitglieder. Laut Arnim erhielt der zurückgetretene CSU-Fraktionschef 13 746 Euro obendrauf – mehr als in jedem anderen Bundesland. Die vier Fraktionsvizes können sich über je 5000 Euro zusätzlich freuen, die zwölf Arbeitskreisvorsitzenden über je 2000 Euro. Fürstlich entlohnt werden Bayerns Minister und Staatssekretäre. Das liegt daran, dass fast alle gleichzeitig Landtagsmitglieder sind und so noch die Hälfte der Abgeordnetenentschädigung und drei Viertel der Kostenpauschale erhalten. Finanzminister Markus Söder kommt nach Arnims Berechnungen so auf ein Monatsgehalt von 21 102 Euro. 4000 Euro mehr als sein Ministerpräsident.

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