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Politik: Mit einem guten Gefühl

Sie sorgt sich um die Psyche der anderen. Beate Rindfleisch hat die BKA-Mitarbeiter betreut, die die Opfer der Todeswelle identifizierten. Heute haben für sie andere Dinge Gewicht als vorher

Am kommenden Donnerstag wird Beate Rindfleisch wieder nach Thailand fliegen. Zwei Tage später hat sie Geburtstag, dann kommt Sylvester. Sie kennt das schon, den Jahreswechsel in Asien. Sie ist ja dann bereits das dritte Mal in Folge da, nur — zum ersten Mal wird es ein Urlaub sein. Und dann, das hat sich die Seelsorgerin aus Hannover fest vorgenommen, „ist es auch gut“.

Beate Rindfleisch wird dann wohl ein Kapitel für sich abschließen, das so gewaltig war, dass manche gar meinten, gleich die ganze Welt werde nicht mehr dieselbe sein wie zuvor. Das Kapitel heißt Tsunami, es ist eine der größten Naturkatastrophen der Neuzeit mit Hunderttausenden von Toten, mit millionenfachem Leid. Die Welt hat sich dann letztlich doch dazu entschieden, sich weiter zu drehen wie bisher, „eine nachhaltige Solidarisierung zwischen Arm und Reich“, sagt die Theologin, „hat es nicht gegeben.“ Und doch: Das Jahrhundertbeben, das mit seiner Flutwelle soviel Zerstörung über die Küsten Südostasiens brachte, war wie für so viele andere auch für die Seelsorgerin „ein Cut in meinem Leben“. Es gibt für sie nun eine „Vor-Tsunami-Zeit“ und eine „Nach-Tsunami-Zeit“, Wertigkeiten haben sich verschoben in ihrem Leben, manche Dinge mehr Gewicht bekommen, andere an Gewicht verloren.

Manchmal aber, da kommen die Bilder von damals noch zurück. So wie neulich, als in dem Kinderkrankenhaus in Hannover, wo sie als Seelsorgerin arbeitet, ein bestimmtes Desinfektionsmittel benutzt wurde. Oder wenn sie einen Verwesungsgeruch wahrnimmt. Oder wenn sie auf der Straße bei jüngeren Frauen ein Rückentattoo sieht, wie es vor zwei Jahren besonders populär war, auch an den Stränden von Thailand. Dann kommt die Erinnerung wieder, legen sich die Bilder von den Leichen übereinander, die die Identifizierungskommission des Bundeskriminalamtes zu untersuchen hatte, um den anonymen Toten ihre Identität zurückzugeben.

Insgesamt neun Mal war sie für jeweils mehrere Wochen in Thailand, achtmal davon im Auftrag von Caritas International. Sie war Ansprechpartnerin für Angehörige von deutschen Tsunami-Opfern, hat Einäscherungen und Überführungen organisiert, war da, wenn die Identifizierungsteams, die Zahnärzte, Rechtsmediziner und Obduktionsassistenten mit ihren psychischen Kräften am Ende waren. Ein Leben mit Leichenbergen war das, die bei Minus 18 Grad in den Kühlcontainern auf der Insel Phuket gelagert wurden, bis sie dann, bei Außentemperaturen von bisweilen über 40 Grad obduziert wurden. Ein monotones Erfassen von Zahnstatus, von Fingerabdrücken, von DNA, tagein, tagaus. Es gab Mitglieder im Team, die stundenlang Oberschenkelknochen zersägen mussten. Sie selbst hat gelegentlich Leichensäcke geschleppt, hat das Blut vom Obduktionstisch gewaschen, hat damit Nähe hergestellt zu den Teams, damit diejenigen, die wollten, einen Ansprechpartner hatten, eine seelsorgerische Betreuung inmitten all des Elends. „Extra Sprechstunden“, sagt Beate Rindfleisch, „wären gar nicht gegangen, da wäre erst gar keiner gekommen“. Vieles kam erst abends zur Sprache, und manches erst nach dem dritten Bier, und nicht selten war am Ende des Tages auch die Seelsorgerin mit ihren Kräften am Ende. „Ich habe damals viel geweint“, sagt Beate Rindfleisch, „da musste vieles raus“.

Es war eine eigene Welt, in der die Identifikationsteams und Beate Rindfleisch lebten: die vielen Toten, das Übermaß an Grauen, das Erschrecken vor der Endgültigkeit dieser Katastrophe, schließlich die Entfremdung vom Alltag jenseits des Tsunamis, die Schwierigkeit, den Partnern daheim zu vermitteln, was man da tue, die Schwierigkeit auch, die Daheimgebliebenen mit ihren Problemchen ernst zu nehmen. Fast alle haben sich verändert, sagt Beate Rindfleisch, „aber keiner ist daran zerbrochen“.

Die Herkulesaufgabe – sie war dann doch (fast) zu bewältigen. Von den 552 toten Deutschen sind bis auf 14 ungeklärte Fälle alle identifizert worden. Der bis dato letzte Fall wurde im September vergangenen Jahres gelöst, bei Erdarbeiten war ein Skelett gefunden worden, das sich als Tsunami-Opfer herausstellte. „Ein Glücksfall“, sagt Beate Rindfleisch.

Sie selbst hat die Erfahrung gemacht, „dass sich das Leben nicht als ruhiger Pulsschlag um die Nulllinie gestaltet. Es hat extreme Ausschläge“. Sie weiß nun: Auch extreme Ausschläge sind irgendwann mal vorbei.

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