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Politik: Mit fünf Todsünden auf den Präsidentenstuhl

Die 54-jährige Michelle Bachelet ist ein Opfer der Pinochet-Diktatur – nun könnte sie ins höchste Staatsamt Chiles gewählt werden

Santiago de Chile - Chile ist eines der konservativsten Länder in Südamerika. Erst seit 1949 dürfen Frauen hier wählen, seit einem Jahr sind Ehescheidungen erlaubt. Abtreibungen stehen unter Strafe, selbst wenn das Leben der Mutter auf dem Spiel steht.

Ausgerechnet in diesem Land hat nun eine Frau die besten Aussichten, die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen: Die 54- jährige ehemalige Verteidigungsministerin Michelle Bachelet. Ihr Vater, ein General der Luftwaffe, blieb beim Militärputsch 1973 dem damaligen Volksfront- Präsidenten Salvador Allende treu. Er wurde von den Putschisten gefoltert und starb in den Kerkern des Pinochet-Regimes. Auch Michelle wurde mehrere Wochen im Folterzentrum Villa Grimaldi festgehalten, ging ins Exil in die DDR und begann ihr Medizinstudium in Berlin. 1979, mehr als zehn Jahre vor Ende der Diktatur, kehrte sie nach Chile zurück.

Schon Bachelets Ernennung zur Verteidigungsministerin im Jahr 2002 war eine leise Revolution, noch immer hatten die Pinochet-Anhänger großen Einfluss in Chile. „Ich bin Sozialistin, Opfer der Diktatur, konfessionslos, geschieden, eine Frau und vereine damit alle fünf Todsünden. Aber wir werden gut zusammenarbeiten“, sagte sie den Generälen. Schnell gewann Bachelet den Respekt der Chilenen: Sie zwängte sich durch Panzerluken, flog in Kampfjets mit, begrüßte auch hohe Offiziere mit dem üblichen Küsschen auf die Wange. In den Beliebtheits-Umfragen lag die Verteidigungsministerin plötzlich vorn. Das zwang die Regierungskoalition Concertación, Bachelet zur Präsidentschaftskandidatin zu küren: eine Frau, die bieder aussieht und die der Finanzminister schon mal respektlos „mi gordi“, „mein Dickerchen“, nannte.

Doch vor der Wahl an diesem Sonntag ist ihre Popularität in den letzten Wochen leicht gesunken. „Bachelet betreibt einen Anti-Wahlkampf“, sagt Politikwissenschaftler Ricardo Israel. „Sie hat sich abgeschottet und ihre Stärke nicht genutzt: Die Nähe zu den Menschen.“ Alles deutet nun auf eine Stichwahl am 15. Januar hin, mit dem Kandidaten der konservativen Renovación Nacional, Sebastián Piñera, Unternehmer und Multimillionär, sowie Joaquín Lavín, ehemaliger Anhänger Pinochets, Mitglied des Opus Dei und Ex-Bürgermeister von Santiago. Die meisten denken: Bachelet wird gewinnen.

Sie würde die Präsidentschaft in einem Land übernehmen, das eine Oase im krisengeschüttelten Lateinamerika zu sein scheint: Chile verzeichnet ein Wirtschaftswachstum von etwa sechs Prozent. Während 1990 noch 38,6 Prozent der Bevölkerung in Armut lebten, sind es heute nur noch 18,8 Prozent, und der hohe Kupferpreis verspricht gute Geschäfte auch im nächsten Jahr.

Karen Na, orf

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