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Politik: „Mit Hartz IV haben wir faktisch den Mindestlohn“

Saarlands Ministerpräsident Peter Müller über die Arbeitsmarktreformen, die Rolle der Länder – und Symbolthemen der Union

Herr Müller, was hat eigentlich der Franz Müntefering gegen Sie?

Wieso?

Der hat die Reihe der CDU-Ministerpräsidenten aufgezählt, die der Kanzlerin nach seiner Meinung Knüppel zwischen die Beine werfen, und Sie fehlen!

Na wunderbar ! Aber diese Reihe gibt es gar nicht.

Kritische Anmerkungen an der großen Koalition gibt es sehr wohl.

Koalition heißt Kompromiss. Diejenigen, die in diese Koalition unmittelbar eingebunden sind, sind natürlich verpflichtet, diese Kompromisse zu vertreten. Es gibt aber zugleich ein legitimes Interesse daran, die eigene Position der Union darzustellen.

Und diese Dienstleistung übernehmen jetzt ganz und gar uneigennützig die Ministerpräsidenten?

Dass diese Funktion jetzt stark den Ministerpräsidenten zukommt, scheint mir normal zu sein.

Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Das Antidiskriminierungsgesetz. Da stößt der Kompromiss der Union ja sehr sauer auf.

Beim Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, wie es jetzt heißt, ist sicher nicht alles so gemacht worden, wie es die Union alleine gemacht hätte. Wir gehen über das Prinzip hinaus, EU-Richtlinien nur eins zu eins umzusetzen. Wir tun das in einer Art und Weise, die der Sache nicht dienlich ist. Ich denke etwa an die Stichworte Verbandsklage und Beweislastumkehr. Deshalb sind die Vorbehalte, die wir angemeldet haben, keine Knüppel zwischen irgendjemandes Beine, sondern sachlich gerechtfertigt.

Und was soll daraus nun werden?

Der Gesetzentwurf wird dem Bundesrat zugeleitet, der eine Stellungnahme abgibt. Ich gehe davon aus, dass dann in der Koalition noch einmal beraten wird.

„In der Koalition“ heißt wo genau?

Typischerweise wird man bei solch einer Frage im Koalitionsausschuss noch einmal bereden, ob und an welchen Punkten Veränderungen möglich sind.

Und wenn nicht, rufen die Länder den Vermittlungsausschuss an?

Das macht bei einem Einspruchsgesetz möglicherweise wenig Sinn. Ich gehe aber davon aus, dass es eine Diskussion um die Inhalte gibt. In der jetzigen Form wird jedenfalls mein Bundesland dem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

Rührt der Streit ums Antidiskriminierungsgesetz nicht auch daher, dass sich die Union in der großen Koalition bisher zu wenig wiedererkennt?

Die Koalition hat jetzt zwei Themen verhandelt, die für die Sozialdemokraten hohen Symbolwert besitzen. Das ist das Thema Antidiskriminierung und das Thema Reichensteuer. Natürlich entsteht da ein Kompensationsbedürfnis auf der Unionsseite.

Wo wäre Kompensation denkbar?

Es gibt eine Reihe von Themen, die der Union in besonderer Weise wichtig sind. Die Frage der weiteren Entwicklung des Arbeitsmarktes, die Zukunft der sozialen Sicherheitssysteme, besonders der Krankenversicherung. Und es gibt Themen außerhalb der wirtschaftlichen Fragen. Ich nenne als Beispiel die Spätabtreibung und die Rolle der Bundeswehr.

Stichwort Arbeitsmarkt: Ihr CDU-Kollege Jürgen Rüttgers fordert eine Generalrevision der Arbeitsmarktreform Hartz IV.

Die Grundidee von Hartz IV ist unverändert richtig. Die Umsetzung hat eine Reihe von Problemen mit sich gebracht. Dass wir da nachbessern müssen, bestreiten nicht einmal die Sozialverbände.

Wo muss nachgebessert werden?

Hartz IV war getragen von zwei Komponenten: Fördern und Fordern. Es ist uns gelungen, die Transferleistungen halbwegs reibungslos auszuzahlen. Die Vermittlung in den Arbeitsmarkt läuft noch nicht gut. Soweit Missbrauch erkennbar wird, muss er bekämpft werden. Vor allem aber muss eine stärkere Konzentration auf die Vermittlung von Arbeitslosen erfolgen.

Werden Arbeitslose genügend gefordert?

In Einzelfällen muss es mehr Sanktionen geben. Wenn jemand eine zumutbare Arbeit nicht aufnimmt, verlässt er die Solidarität. Das muss bestraft werden. Rechtlich ist das jetzt schon möglich. Aber wir haben Vollzugsdefizite, die zu beseitigen sind.

Inzwischen leben mehr als fünf Millionen Menschen von Hartz IV. Beziehen viele zu Unrecht die Leistung?

Die Mehrzahl sicherlich nicht. Natürlich gibt es auch Missbrauch im Einzelfall.

Die Ausgaben für Hartz IV steigen aber ständig. Parteifreunde von Ihnen fordern, die Regelsätze zu kürzen.

Ich bin gegen eine generelle Kürzung der Regelsätze. Das ist nur gerechtfertigt, wenn jemand schuldhaft die Aufnahme von Arbeit verweigert.

Inzwischen melden sich auch die bei der Arbeitsagentur, die einen Job haben, aber davon nicht leben können. Es gibt eine Million Aufstocker, die ergänzend Arbeitslosengeld II erhalten.

Die Politik hat das so gewollt. Die Aufstocker arbeiten typischerweise in Bereichen mit niedriger Produktivität. Da ist es kaum möglich, ein Einkommen zu erzielen, mit dem man den Unterhalt sichern kann. Indem wir diesen Menschen ergänzendes Arbeitslosengeld II zahlen, schaffen wir eine Art Kombilohn. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden.

Eine vierköpfige Familie kommt mit Hartz IV auf 1700 bis 2000 Euro im Monat. Umgerechnet sind das mehr als zehn Euro pro Stunde – mehr als eine Friseurin verdient. Ist das gerecht?

Dass eine Transferleistung bei einer vierköpfigen Familie einem Stundenlohn von etwas mehr als zehn Euro entspricht, finde ich in Ordnung. Dieser Umstand zeigt aber auch, wie unsinnig die Diskussion über einen einheitlichen Mindestlohn in Deutschland ist. Mit Hartz IV haben wir faktisch einen Mindestlohn.

Die Fragen stellten Robert Birnbaum und Cordula Eubel.

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