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Mitfahrt bald nur für Smartphone- oder Bankkartenbesitzer?

© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Mit Münzen oder Schein kein Ticket: Die Denkfehler der Bargeldmuffel von der BVG

Bargeldlose Bus-Fahrscheine sparen nur auf vordergründiger Ebene etwas ein. Auf allen anderen Ebenen sind sie eine fahrlässige Verschwendung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Es wurde nebenbei angekündigt, und vielleicht blieb deshalb die große Empörung aus. Oder vielleicht interessiert es auch niemanden. Dabei geht es um etwas Grundsätzliches.

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) erlauben den Gästen ihrer Busse wieder, vorne bei den Fahrern einzusteigen. Das war während der vergangenen Coronamonate verboten. Da ging Einstieg immer nur hinten, die Fahrerkabinen waren durch Folien abgeschirmt vom mitreisenden Infektionsgeschehen. Ebenfalls nicht möglich war das Fahrscheinkaufen im Bus. Auch das ist jetzt wieder erlaubt, aber – hoppla – nicht mehr gegen Bargeld. Entweder zahlt man mit Bankkarte oder per Smartphone.

Die Neuerung, die als Pilotprojekt geframt ist, solle der Gesundheitssicherung dienen, verkündete die BVG, die neue Unbar-Zahlautomaten auch in ihren Trams montiert. Außerdem soll der Verzicht auf Bares den Busverkehr pünktlicher machen, schließlich sei bargeldloses Zahlen schneller. Dass diese Rechnung kaum aufgeht, werden alle ahnen, die je in einer Supermarktschlange standen, die immer länger wurde, weil Karten oder Apps nicht funktionierten.

Die Rechnung, die viel eher aufgeht, ist BVG-intern. Bargeldverwaltung ist unrentabel. Besonders bei Verkehrsbetrieben sei das Verhältnis von Umsatz zu Kosten „ein ernst zu nehmendes Problem, weiß etwa BWL-Professor Hartmut Walz, Mitglied der Bürgerbewegung Finanzwende und Bargeld-Fan. Pro Bus eine Kasse, pro Kasse viel Kleingeld, das ist ein täglicher Aufwand, den sich Verkehrsbetriebe gern sparen würden. Ein verständlicher Wunsch, der aber unerfüllt bleiben sollte.

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Öffentliche Verkehrsmittel müssen für alle benutzbar sein. Es haben aber nicht alle eine Bankkarte, schon gar nicht haben alle ein Smartphone. Das mag Menschen, die inzwischen ihr gesamtes Arbeit- und Privatleben in dem Gerät mit sich herumtragen, unbegreiflich sein. Es ist aber Fakt. Die BVG-Entscheidung hat also eine gravierende soziale Tangente. Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB kann entsprechend umstandslos losschäumen über „diese Kaltschnäuzigkeit“. Da würden systematisch Menschen ausgegrenzt, sagt er, und verweist auch auf jene, für die technischen Systeme rein intellektuell eine Hürde darstellen.

Juristisch sei zu klären, ob die BVG Bargeld überhaupt ablehnen darf, sagt er

Wieseke hat völlig recht. Schon allein deshalb ist es sehr befremdlich, dass das Unternehmen, das zu 100 Prozent im öffentlichen Besitz ist, eine solche Entscheidungen offenbar eigenmächtig treffen konnte. Das sehen auch Berliner Parlamentarier wie der SPD-Verkehrspolitiker Daniel Buchholz so: „Die Verkehrsunternehmen machen, was sie wollen, und die Politik steht daneben.“ Er vermisst ein Durchgriffsrecht und erhofft sich Support aus der Juristerei – und zwar bezüglich der Frage, ob ein Monopolist ein zugelassenes gesetzliches Zahlungsmittel überhaupt ablehnen dürfe.

Und es gibt noch einen weiteren Bereich, in dem die BVG-Pläne Konsequenzen haben. Mit dem Ende der Bargeldzahlung fürs Ticket endet die spontane Möglichkeit, per Bus von A nach B zu kommen, ohne Datenspuren zu hinterlassen (unspontan könnte man sich vorausschauend mit ungestempelten Blanko-Tickets bevorratet haben). Die datenspurlose individuelle Fortbewegung muss aber möglich bleiben. Das ist elementar.

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Die Räume, in denen Menschen sich unbeobachtet und ungetrackt bewegen können, schwinden. Zuletzt hat die Corona-Pandemie sie in mikroskopische Einheiten zerhackt, denn vor dem großen Ziel der Viruseindämmung konnten Wünsche nach weniger Verfolgbarkeit nicht bestehen. Aber das heißt nicht, dass das so jetzt weitergehen sollte. Besinnung täte gut. Die soziale Frage betrifft nicht nur jene Menschen, die aus Schicksals- oder Altersgründen ein Busticket nicht unbar kaufen können, es betrifft auch alle, die das nicht wollen. Weil sie datensparsam sind, weil sie nicht zu einer Entwicklung beitragen möchten, die auf gläserne Bürger zielt.

Massen an Mobilitätsdaten werden anfallen

Von privaten Unternehmen ist da kein Einlenken zu erwarten. Zu ungeniert wird von Daten als neuem Gold palavert. Und besonders Mobilitätsdaten sind interessant. Es braucht nicht viel Fantasie, sich auszumalen, was für Mengen an Mobilitätsdaten anfallen, wenn Einzeltickets mit Karte oder App bezahlt werden. Ohne dem Unternehmen auch nur entfernt unterstellen zu wollen, dass es da auf Gewinne spekuliert, könnte man doch denken: Wo viele Daten sind, sind auch Leute, die daran wollen, und die finden meist auch Wege.

In der Datenvermehrungslogik muss das Bargeld weg. Das wird global längst erfolgreich betrieben. Und – wie jetzt bei der BVG – den Menschen als Fortschritt verkauft. Dabei ist es eher das Gegenteil.

In einer bargeldlosen Welt werde es am Ende dazu kommen, so sieht es BWLer Walz, dass steigende Inflation, Strafzinsen auf Guthaben und fehlende Anlagemöglichkeiten Menschen, die ihr Geld nicht mehr in Münzen und Scheinen aufbewahren können, in den blinden Konsum treiben. Umso mehr müssen öffentliche Unternehmen sich gegen diesen mächtigen Trend behaupten. Bargeldlose Bus-Fahrscheine sparen nur auf der allervordergründigsten Ebene etwas ein. Auf allen anderen Ebenen sind sie eine wahrhaft fahrlässige Verschwendung: von Teilhabe, von Selbstbestimmung, von Freiheit.

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