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Anhänger feiern den Wahlsieg von Donald Trump im Jahr 2016.

© REUTERS

Mit Passion statt Pragmatismus zum Sieg: Wahlen werden nicht in der Mitte gewonnen

Diverse Wahlen lehren: Nicht die Ausgewogenheit siegt, sondern Mobilisierung und Enthusiasmus. Das gilt nicht nur im Fall Donald Trump. Ein Kommentar.

Bisher galt: Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Erst muss sich ein Kandidat durch ideologische Standfestigkeit in der eigenen Partei durchsetzen, dann das Herz der Stammwähler erwärmen und schließlich, durch moderat-staatsmännisches Auftreten, in den Kreis der Unentschlossenen vordringen. Radikal darf er sich allenfalls am Anfang seiner Karriere geben, am Ende jedoch sollte er so handzahm wie möglich sein.

Die Regel klingt plausibel, hat aber das Manko, oft widerlegt worden zu sein. Passion statt Pragmatismus: Dieses Motto weist den wahren Weg zum Sieg. Nicht Mitte siegt, sondern Mobilisierung, nicht Abgewogenheit, sondern Härte, nicht eine 120 Seiten lange Agenda, sondern Enthusiasmus. Das lehren diverse Erfolge der letzten Zeit – vom Brexit-Referendum bis zu Donald Trump, von Jair Bolsonaro bis zu Viktor Orban, von Benjamin Netanjahu bis zur Fünf-Sterne-Bewegung in Italien.

Beispiel Trump. Die Mitte hat ihn nie interessiert, das richtige Maß auch nicht. Er tönte, polterte, schlug zu. „Sperrt sie ein!“, ließ er seine Anhänger skandieren, gemeint war Hillary Clinton. Er bezirzte die Evangelikalen und stieß mit seiner Brachialrhetorik in jene Wählerschichten vor, die lange Zeit gar nicht an die Urnen gegangen waren, weil sie sich von Washington und dem Kongress grundsätzlich nicht vertreten gefühlt hatten.

Trumps Anhänger fühlen sich bestätigt

Trump mochte Milliardär sein, kaum Steuern gezahlt und sich über vergoldete Wasserhähne gefreut haben: Doch die Anti-Welt, die er beschrieb, entsprach exakt den Vorurteilen vieler seiner Anhänger – über Latte-Macchiato-Trinker, snobistische Akademiker, kulturell linke Globalisten, Gender-Freaks, Nato-Schmarotzer, übermächtige Chinesen, Bäume-Umarmer. Trump war der perfekte Verstärker ihrer Aversionen, und seine Botschaft hatte einen stark mobilisierenden Effekt: Habt keine Angst, vor dem politischen Gegner nicht, vor der medial verbreiteten angeblichen Mehrheitsmeinung nicht, vor der eigenen Partei nicht, vor keinem! Diese Botschaft verfing. Ein kohärentes Programm brauchte der Kandidat nicht.

In den USA hat die negative Wahlwerbung – das sogenannte „mudslinging“ – Tradition. Studien haben belegt, dass negative Aussagen über den Konkurrenten einen längeren Erinnerungswert haben als positive Selbstdarstellungen. Legendär ist das Duell im Jahr 1800, als Herausforderer Thomas Jefferson über Amtsinhaber John Adams das Gerücht verbreiten ließ, dieser sei ein „ekelerregender Pedant, widerlicher Heuchler, und er hat einen hermaphroditischen Charakter, der weder die Kraft und Festigkeit eines Mannes aufweist noch die Weichheit und Sensibilität einer Frau“. Die Adams-Getreuen reagierten kaum weniger zimperlich. Jefferson sei ein „gemeiner, niedriger Kerl, der Sohn einer halb-indianischen Mutter, gezeugt von einem Mulatten-Vater aus Virginia“.

Präsident Lyndon B. Johnson wiederum, der im Wahlkampf 1964 Barry Goldwater besiegte, den republikanischen Senator aus Arizona, empfahl seinen Demokraten: „Verbreitet über Goldwater, dass er es mit Tieren treibt. Und dann lasst es ihn abstreiten.“ Außerdem ließ das Johnson-Lager einen derben TV-Spot ausstrahlen: Ein kleines Mädchen steht auf einem Feld, umringt von Gänseblümchen. Eine Stimme zählt den Countdown bis zu einer Atombombenexplosion. Der aufsteigende Atompilz sollte suggerieren, Goldwater würde als Präsident leichtfertig einen Nuklearkrieg riskieren.

Gnadenlos gegen die Liberalen

Ähnlich gnadenlos gingen auch George W. Bush und John Kerry 2004 miteinander um. In einem Werbespot des Republikaners sieht der Zuschauer zunächst die Trümmer des World Trade Centers, dann fragt eine besorgt klingende Stimme: „John Kerry und seine liberalen Verbündeten – sind sie ein Risiko, das wir uns wirklich leisten können?“ Der Demokrat konterte. Bush werde die Renten kürzen und die Wehrpflicht wieder einführen, warnte er. Beides stimmte nicht.

Nicht Maß und Mitte verhelfen zum Sieg, sondern Angriffslust, rhetorische Härte und Mobilisierung. Nun mag das Beispiel USA wegen der geringen Wahlbeteiligung, des Zweiparteiensystems und der politischen Polarisierung nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar sein, doch gewisse Dynamiken ähneln sich durchaus. Jedenfalls gilt es, Abschied zu nehmen von der Strategie, auf einen größtmöglichen gesellschaftlichen Konsens zu schielen. Malte Lehming

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