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Politik: Mit vielen Stimmen

Europas Außenminister können Polen und Spanien nicht auf die EU-Verfassung einschwören

Neapel. Fast überstürzt reisten Europas Außenminister ab, obwohl noch so viel zu besprechen war. Draußen knatterten schon die Rotorblätter ihrer Hubschrauber, als der italienische Ratsvorsitzende Franco Frattini drinnen „große Fortschritte“ der Regierungskonferenz zur EU-Verfassung verkündete. Vor allem die Einigung auf gemeinsame Grundsätze zur europäischen Verteidigung wurde beim Ministertreffen in Neapel vielfach als „Durchbruch“ gefeiert.

Die europäische Verfassung ist damit aber noch lange nicht unter Dach und Fach. Das zeigte sich schon, als die Minister den Saal nach der Sitzung für das traditionelle „Familienfoto“ verließen: Noch auf diesem Weg waren Außenminister Joschka Fischer und sein polnischer Amtskollege Wlodimierz Cimoszewicz in ein intensives Gespräch vertieft. Polen und Spanien sind nach dem Treffen am Fuße des Vesuvs mehr denn je die beiden Länder, an deren Forderungen die Verfassung noch scheitern könnte. Aber die spanische Außenministerin Ana Palacio beharrte in einer langen Rede auf ihrem Verlangen, am EU-Vertrag von Nizza festzuhalten.

„Nizza“ bedeutet: Spanien und Polen mit jeweils rund 40 Millionen Einwohnern bekommen im EU-Ministerrat je 27 Stimmen. Deutschland mit seinen 82 Millionen Bürgern hat nur 29 Stimmen. Doch der Vertrag von Nizza – in einer langen Nachtsitzung übers Knie gebrochen – gilt als unvollkommen und würde die Europäische Union nach der Erweiterung auf 25 Mitglieder im Mai 2004 letztlich wohl unregierbar machen.

Deshalb hat der EU-Konvent in seinem Verfassungsentwurf als neuen Abstimmungsmodus das System der doppelten Mehrheit vorgesehen: Einem EU-Beschluss muss demnach die Mehrheit der Mitgliedstaaten zustimmen, die gleichzeitig eine Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren. Noch wird darüber gestritten, ob diese Mehrheit der Bevölkerung bei 50 oder erst bei 60 Prozent gelten soll. Je höher diese Zahl liegt, desto leichter wären Blockaden zu organisieren. Im Prinzip sind aber alle bis auf Polen und Spanien für dieses System.

Mitmachen wollen Spanier und Polen zumindest bei der geplanten Verteidigungspolitik. „Da habe ich den polnischen Vertreter bei dieser Konferenz zum ersten Mal sagen hören, dass er mit etwas leben kann und nicht für etwas sterben muss“, lästerte der Parlamentsvertreter Klaus Hänsch in Anspielung auf den polnischen Slogan „Nizza oder der Tod“. Ansonsten sei das Ergebnis von Neapel bescheiden gewesen: „Es hat ein paar Fortschritte gegeben.“ Die offenen Fragen muss nun der EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 12. und 13. Dezember beantworten.

Roland Siegloff (dpa)

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