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Politik: Mit zehn Jahren schon bedürftig Von Cordula Eubel

Es ist keine unbeschwerte Geburtstagsfeier – zehn Jahre Pflegeversicherung. Gut gemeint ist eben nicht gut gemacht.

Es ist keine unbeschwerte Geburtstagsfeier – zehn Jahre Pflegeversicherung. Gut gemeint ist eben nicht gut gemacht. Erhebliche Reparaturarbeiten sind nötig, um das System finanziell zu retten. Das war vorhersehbar. Es ist vernünftig, wenn eine alternde Gesellschaft Pflegebedürftigkeit als existenzielles Lebensrisiko absichert. Doch es war eine große Illusion, 1995 einen neuen Zweig der Sozialversicherung nach Bismarck’schem Vorbild einzuführen.

Wie Krankheit, Rente, Arbeitslosigkeit wird das Pflegerisiko im Umlageverfahren finanziert, aus den Arbeitseinkommen. Das war von Anfang an umstritten. Schon bei der Einführung war absehbar, dass unsere Gesellschaft rapide altert – weil wir länger leben und weniger Kinder geboren werden. Schon der „Vater“ der Pflegeversicherung, der CDUPolitiker Norbert Blüm, hatte damals prognostiziert, der Beitragssatz werde nicht dauerhaft bei 1,7 Prozent bleiben.

Die Abhängigkeit von den Arbeitseinkommen hat zur Selbstblockade geführt. Die Politik kann die Beiträge nicht erhöhen, weil die Arbeitskosten für die Betriebe steigen würden. Die Leistungen der Pflegeversicherung sind dadurch immer weiter entwertet worden. Für die Betroffenen bedeutet das, dass sie immer mehr aus eigener Tasche zuzahlen müssen. Die Pflegekassen brauchen mehr Geld. Die Rücklagen schmelzen, spätestens 2008 sind sie aufgebraucht. Die Zahl der Pflegebedürftigen aber steigt. Heute sind es gut zwei Millionen Menschen in Deutschland, 2030 werden es bereits mehr als drei Millionen sein. Zudem wird immer mehr professionelle Hilfe benötigt. Familienangehörige können und wollen die Alten nicht mehr so pflegen wie früher, weil sie berufstätig sind oder selbst zu alt.

Die Pflegeversicherung ist im Übrigen zu einem Erbenschutzprogramm geworden. Vermögende Menschen müssen ihr Eigentum nur begrenzt antasten und können einiges an die nächste Generation vererben. Menschen mit geringem Einkommen sind dagegen oft auf Sozialhilfe angewiesen, wenn sie zum schweren Pflegefall werden. Dabei sollte gerade das durch die Einführung der Versicherung verhindert werden.

Wäre es nicht vernünftiger, Pflegeleistungen über Steuern zu finanzieren? Wer bedürftig ist, könnte stärker unterstützt werden als jemand, der sich die Pflege aus eigener Kraft leisten kann. Bei einer Sozialversicherung, die erst zehn Jahre alt ist, wäre der Kraftakt eines Umbaus leichter zu schaffen als bei der 122 Jahre alten Krankenversicherung. Eine stärkere Steuerfinanzierung, kombiniert mit zusätzlicher privater Vorsorge, wäre auch gerechter. Die Pflege hilfsbedürftiger Menschen ist eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft, nicht nur für Arbeitnehmer und Unternehmen.

Am zehnten Geburtstag der Pflegeversicherung stellt sich die Frage nach den Finanzen neu und dringend. Die nötige Reform darf – trotz der Bundestagswahl 2006 – nicht vertagt werden. Es geht aber nicht nur ums Geld, sondern auch um die Frage, wie die Qualität der Pflege verbessert werden kann. Dazu gehören nicht nur bessere Standards in den Pflegeheimen. Würdevolles Altern bedeutet vor allem, möglichst lange selbstbestimmt zu leben. Ältere Menschen wollen in den eigenen vier Wänden leben, solange es geht. Dafür brauchen sie die richtigen Bedingungen: bezahlbare Tagesstätten und Nachtwachen und insgesamt mehr und flexiblere Angebote der ambulanten Pflege. Den nötigen Impuls könnte der Umbau zur stärker steuerfinanzierten Pflegeabsicherung geben.

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