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Mitgliederentscheid: Wie geht es weiter für die FDP?

Die Stimmen sind ausgezählt. Das Quorum wurde nicht erreicht, Rösler bestätigt. Doch die Krise ist damit noch nicht ausgestanden.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Hans Monath

Otto Fricke ist Freitag früh als Parteisoldat unterwegs. Er hat als Fraktionsgeschäftsführer gewissermaßen von Vertrags wegen den Auftrag zur Disziplin. „Er kann es“, versichert also Fricke im Deutschlandfunk. Gemeint ist Rösler, und gemeint ist, dass sich der Parteichef im Amt halten könne, egal wie der Mitgliederentscheid ausgeht. Man müsse dann nämlich das Ergebnis umsetzen, so gut das irgend möglich sei. Es verlange Führung und die müsse, könne und werde Rösler zeigen. „Es hängt mit seinem Willen zusammen“, sagt Fricke. Das scheint ein ziemlich kühner Satz zu diesem Zeitpunkt. Es ist schließlich sehr gut denkbar, dass das, was ein Philipp Rösler will oder nicht will, in ein paar Stunden keine Rolle mehr spielt. Andererseits gehört Fricke zu den gut Vernetzten. Vielleicht weiß er schon was?

Wurde es zum Schluss noch knapp?

In Bonn ist am Morgen noch einmal ein Schwung Post eingegangen. Unter Aufsicht eines Notars werden bis zuletzt Abstimmungsbriefe geöffnet. Im Weihnachtspostverkehr geht vieles langsamer. Die Parteispitze will sich nicht auch noch den Vorwurf einhandeln, sie habe gültige, korrekt bis Dienstag abgestempelte Stimmen unter den Tisch fallen lassen. Schließlich ist bei dieser Mitgliederbefragung so ziemlich alles schief gegangen, was schief gehen konnte: Erst hat die Parteiführung, die Fraktionsspitze inbegriffen, den Vorstoß des Rebellen Frank Schäffler nicht ernst genommen; dann haben sie die aufgenötigte Abstimmung zum Musterbeispiel innerparteilicher Mitbestimmung erklärt, und drei Tage vor Abgabeschluss hat der Parteivorsitzende dann schon mal erklärt, dass die Rebellen gescheitert seien.

Was bedeutet das Ergebnis für Rösler?
Rösler kann wahrscheinlich heilfroh sein, dass seine Partei über alledem den „Lächerlichkeitsgrad“ erreicht hat, den Parteivize Holger Zastrow aus Sachsen ihr am Donnerstag so wütend wie hilflos bescheinigte. Man hätte sonst ernsthaft fragen müssen, was für ein Verständnis von Demokratie in dieser liberalen Partei Platz greift – auf die Idee, das gewünschte Wahlergebnis schon vor Urnenschluss zu verkünden, sind sie bisher nicht mal in Moskau gekommen. Aber Röslers Verhalten wird von Freund wie Konkurrent bloß als Ausrutscher gedeutet. Besser wird es dadurch nicht. In dem nicht mal dreiviertel Jahr, in dem der junge Niedersachse jetzt an der Spitze der Liberalen steht, hat sich das Bild des allzu Flotten bedenklich verfestigt: immer zu schnell, zu eifrig und ohne jenes Maß an Vorsicht und Instinkt, das in der vielfältig zerklüfteten und vergletscherten Hochgebirgslandschaft namens Bundespolitik überlebenswichtig ist. „Er ist ein netter Kerl“, sagt ein altgedienter Parteifreund. Er meint das als Beschreibung des Problems. Zu unerfahren, zu viel noch von der kuscheligen Zeit der Landespolitik im Blut, zu stolz auf die eigene jungenhafte Schlagfertigkeit.

Um kurz nach zwölf, noch vor der Sitzung des Präsidiums, steigt Rösler auf das Mikrofonpult im Foyer des Berliner Dehler-Hauses: „Ich wollt’ Ihnen nur kurz die Ergebnisse des Mitgliederentscheids zum Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM vortragen.“ Er sieht angespannt aus. Aber er hat gewonnen. Das Quorum von einem Drittel der Mitglieder ist nicht erreicht, das ist ein Schönheitsfehler, doch das Ergebnis ist eindeutig: Den Antrag der Parteiführung haben 54 Prozent unterstützt, den Antrag des Euro-Rebellen Frank Schäfflers 44 Prozent. „Die FDP ist und bleibt eine Partei klar ausgerichtet pro-europäisch“, sagt Rösler. Dann dankt er allen Mitwirkenden, die Rebellen eingeschlossen. Seinen eigenen Job als Vorsitzender hat der 38-Jährige damit verteidigt – vorerst. „Wenn es schief gegangen wäre, wäre er schon nicht mehr Parteichef“, sagt ein gut vernetzter Liberaler. Dann wäre Fraktionschef Rainer Brüderle bedrängt worden, den Gescheiterten zu ersetzen. Schon seit Tagen hatten nicht nur FDP-Abgeordnete, sondern auch viele Unionspolitiker darüber spekuliert, ob Rösler dann wenigstens sein Ministeramt hätte retten können. Der erste öffentliche Gratulant heißt Guido Westerwelle. „Das ist eine gute Nachricht für Deutschland, für Europa und für die Liberalen“, verkündet der Außenminister und beglückwünscht den Mann, der ihn im Mai verdrängt hat, zum Erfolg. Auch Brüderle, der schon in den vergangenen Tagen Solidaritätsadressen für Rösler abgegeben hat, sagt: „Er ist gestärkt worden.“

Wie reagieren die Initiatoren?
Tatsächlich ist das Ergebnis so klar, dass die Unterlegenen auf alle formalen Einwände verzichten, die sie vorher angedroht hatten. Aber als komplette Verlierer sehen sich Frank Schäffler und Burkhard Hirsch naturgemäß auch nicht – rund 9000 Stimmen sind für ihre kleine Partei sehr, sehr viele Unzufriedene. „Wir erhoffen uns, dass die Führung der FDP das knappe inhaltliche Ergebnis des Mitgliederentscheids würdigt“, erklärt das Initiatoren-Duo.
Die Handlungsfähigkeit der Fraktion bei der Euro-Rettung ist durch die Abstimmung nicht infrage gestellt. Die 93 FDP-Abgeordneten haben keinen neuen Parteiauftrag erhalten, der sie bei Entscheidungen im Parlament bindet. Allerdings dürfte der Druck wachsen, dem Ringen der Bundesregierung gegen die Schuldenkrise eine erkennbar liberale Handschrift zu verpassen, die auch die 44 Prozent der ESM-Gegner an der eigenen Basis beeindruckt.
Viele Liberale rechnen damit, dass nun zumindest bis zum Dreikönigstreffen Anfang Januar keine Forderungen nach einem Rösler-Rücktritt mehr laut werden. Im Stuttgarter Staatstheater muss der Wirtschaftsminister dann eine Rede halten, die nach innen und außen als Aufbruchsignal wirkt. Genau werden die Liberalen sich dann anschauen, ob sich die von ihrem jungen Parteichef versprochene Konsolidierung in den Umfragen widerspiegelt. Denn die Probleme der FDP hat der Ausgang des Mitgliederentscheids nicht aus der Welt geräumt. „Natürlich ist nicht alles gut“, sagt Martin Zeil, der bayerische Wirtschaftsminister: „Wir sind keine Traumtänzer.“

Nur vier Monate nach dem Dreikönigstreffen steht im Mai eine Landtagswahl an – in Schleswig-Holstein. Wenn der Bundestrend für die Liberalen nach dem Stuttgarter Treffen weiter nach unten zeigt, wird dann nicht nur der Kieler Fraktionschef Wolfgang Kubicki dafür die Parteispitze verantwortlich machen. Der Satz „Er kann es nicht“ ist in den letzten Tagen von zu vielen zu oft gesagt, gemurmelt und geschrieben worden, als dass er gleich wieder vergessen wird. Die akute Krise ist abgewendet. Die chronische Krise bleibt. Rösler ist nicht geliefert, aber liefern muss er jetzt erst recht.

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