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Mittelmeer: Neuer Ansturm von Flüchtlingen auf Melilla

70 Afrikaner überwinden die Grenze zur spanischen Enklave – und werden wieder ausgewiesen.

„Das war eine richtige Menschenlawine“, berichtet ein spanischer Reisender, der über den Grenzübergang der spanischen Nordafrika-Exklave Melilla nach Marokko fahren wollte. Plötzlich kamen aus der Dunkelheit Dutzende Afrikaner angerannt. Sie seien mit Knüppeln und Steinen bewaffnet gewesen, Alarmglocken schrillten. Marokkanische Grenzsoldaten wurden umgerannt. Auch spanische Beamte, die versuchten, das Grenztor zu schließen, hatten wenig Chancen. „Sie konnten die Menschen nicht aufhalten. Es waren einfach zu viele.“

In der darauf folgenden Nacht wiederholte sich die Szene. Ausgerechnet als Spaniens Nationalmannschaft sich per Elfmeter gegen Italien ins EM-Halbfinale schoss. Doch dieses Mal wurde der Ansturm der Flüchtlinge aufgehalten. Der spanische und auch der marokkanische Grenzschutz waren gewarnt und mit Verstärkung angetreten. „Kein illegaler Einwanderer konnte dieses Mal die Grenze überwinden“, hieß es seitens der Sicherheitsbehörden. Am Vortag war immerhin rund 70 Afrikanern der illegale Durchbruch von Marokko nach Melilla gelungen. Die meisten wurden jedoch von der Polizei in der spanischen Festungsstadt, die zur Europäischen Union gehört, aufgegriffen und umgehend wieder abgeschoben. Einige hatten sich sogar auf Bäumen und in Müllcontainern versteckt.

Dieser neue Flüchtlings-Ansturm auf den afrikanischen EU-Außenposten Melilla ist der schwerste Zwischenfall seit Herbst 2005. Damals versuchten wochenlang und fast täglich hunderte von Flüchtlingen den Grenzzaun zu überwinden. Mindestens zwölf Immigranten starben damals, weil sie im messerscharfen stählernen Grenzwall verbluteten. Und auch durch Schüsse, die nach spanischer Darstellung von marokkanischen Soldaten abgefeuert worden waren. Nach diesem Drama wurde der Grenzzaun mit EU-Geldern auf sechs Meter erhöht, mit Kameras und Wasserkanonen ausgestattet. Seitdem herrscht am Zaun relative Ruhe. Doch in Marokko, wie auch in den nordafrikanischen Ländern Algerien und Libyen warten hunderttausende Afrikaner auf ihre Chance, nach Europa zu gelangen. Immer weniger über die gut bewachten spanischen Exklaven Melilla und Ceuta an der marokkanischen Küste. Die meisten versuchen es mit Fischer- und Schlauchbooten. Jetzt im Sommer nimmt die Zahl der „Boat-People“, die an den spanischen und italienischen Küsten ankommen, wieder zu. Es mehren sich auch wieder die Nachrichten Nachrichten über tödliche Fluchttragödien auf hoher See. Erst vor einer Woche war bekannt geworden, dass vor der libyschen Küste rund 150 Migranten ertrunken waren, nachdem ihr Boot kenterte.

Das spanische Melilla, wie auch die westlich liegende Schwesternstadt Ceuta, sind Reste der europäischen Kolonialpolitik. Die Spanier nahmen den Arabern Melilla 1496 ab. Ceuta wurde 1445 zunächst durch die Portugiesen eingenommen und fiel 1580 zusammen mit Portugal an Spanien. In beiden Garnisonsstädten leben heute jeweils rund 75 000 Einwohner. Der kulturelle Einfluss der arabischen Nachbarn ist deutlich spürbar: Ein Drittel der Bewohner in Ceuta wie in Melilla sind Moslems. Marokko bezeichnet die beiden spanischen Garnisonsstädte als „besetzte Gebiete“.

Ralph Schulze

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