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Politik: Mitten im Leben

Von Rüdiger Schaper

Ein neuer Ort ist entstanden in der deutschen Hauptstadt, in diesem Land, sechzig Jahre nach der Befreiung der Vernichtungslager, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Es ist ein Ort, dem man sich mit kaum zu bewältigenden Gefühlen und Gedanken nähert. Ein zugleich greifbarer und unbegreiflicher Ort. Eine epochale Signatur in der Berliner Geschichtslandschaft und vielleicht: eine Utopie des Friedens.

Das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas war in den Köpfen, in seiner langwierigen Genese kein schlechtes demokratisches Lehrstück. Nur in Diktaturen werden große Bauwerke durchgepeitscht und den Menschen aufs Auge gedrückt. Zwölf Jahre NaziTerrorstaat, siebzehn Jahre Streit um die Gestalt einer zentralen Erinnerungsstätte an den Holocaust in Deutschland: Man hat diese Zeit gebraucht, um die Spur der Steine in die Zukunft zu legen. Wenn man heute, nach all dem zum Teil erbitterten Für und Wider, betrachtet, was Peter Eisenman geschaffen hat, so geschieht das mit großer Bewunderung.

Und Verwunderung: Es ist groß, nicht mächtig. Es ist überwältigend, nicht erdrückend. Es steht auch in einer Kontinuität – und bricht diese zugleich auf. Wo einmal die Mauer, der „antifaschistische Schutzwall“, deutsche Geschichte manifestierte, schmiegen sich die Betonstelen des Mahnmals an den Boden. Trauer und historisches Verantwortungsgefühl lassen sich nicht anordnen. Die DDR hat mit ihren leeren antifaschistischen Ritualen, ihrem hermetischen Geschichtsbild letztlich dem Antisemitismus und der Fremdenfeindlichkeit Vorschub geleistet; eine bittere Erfahrung des wiedervereinten Deutschland. Eisenmans abstrakte Stadtskulptur öffnet dagegen Räume, schließt niemanden aus, nichts ab.

Zu behaupten, das gestern eingeweihte Mahnmal und der in die Erde eingegrabene „Ort der Information“ seien „einladend“, wäre missverständlich. Aber es geht von diesem gefrorenen Garten ein seltsamer Sog aus, als hörte man die Worte aus Paul Celans „Todesfuge“: „Wir schaufeln ein Grab in den Lüften, da liegt man nicht eng …“, die Stimmen ermordeter Juden.

„Architektur ist kein Allheilmittel gegen das Übel“, sagte Peter Eisenman in seiner Rede zur Eröffnung. Aber Architektur kann Kunst sein, und Kunst spricht eine freiere Sprache als Politik, Pädagogik und Geschichtswissenschaft. „Der Holocaust berührt die Grenze unseres Verstehens“, und dies sei ein „Denkmal an der Grenze, ein Denkmal im Übergang“, begrüßte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse das enigmatische Bauwerk. Noch einmal – so wird es auch bleiben – wurden bei dem Festakt die Widersprüche laut, die schwer zu widerlegende Kritik. Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, zeigte die Begrenztheit des Eisenman’schen Wurfs. Er vermisst den Verweis auf die Täter: „Das Denkmal erspart die Konfrontation mit der Schuld.“ Und nirgendwo, so Spiegel, werde an die Homosexuellen, die Sinti und Roma, die politischen Opfer des nationalsozialistischen Völkermords erinnert.

Es sollte ja nie ein Schlussstein sein. Und es steht mitten im Leben. Es ist kein authentischer, vielmehr ein fiktiver Ort. Ein irritierendes Kraftfeld. Auf Hinweistafeln werden Sonnenbäder und Picknicks, das Mitnehmen von Fahrrädern und Skateboards untersagt. Eine berechtigte Sorge, die das Paradox dieses Mahnmals zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz sinnfällig macht. Es wird angenommen werden, zur Meditation, zum Nachdenken. Und als Touristenattraktion.

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