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Politik: Mitten im Nirgendwo

Susanne Osthoff wurde auf dem Weg nach Tus entführt – ein Besuch in dem Ort, den sie nie erreichte

Rechts und links der Straße ist Steppe und Wüste. Wenn man aus Bagdad kommt und in den staubigen Ort Tus Churmatu fährt, sieht man als Erstes einige Dutzend Plastikkanister mit Benzin neben der Straße stehen. Im Irak ist der knappe Sprit fast nur auf dem Schwarzmarkt zu bekommen. Auf der linken Seite wird in einer primitiven Autowerkstatt gehämmert. Im Zentrum der Kleinstadt stehen die Moschee, zwei Teehäuser und drei Schulen. Die Geschäfte haben in der Hauptsache Konserven und Grundnahrungsmittel. Tus sollte nach 150 Kilometern laut Information der Sicherheitskräfte die erste Station der deutschen Geisel Susanne Osthoff auf ihrer Fahrt von Bagdad sein. Sie kam nie hier an.

Tus selbst gilt als unruhiger Ort, weil sich hier drei ethnische Gruppen nicht über den Weg trauen. Araber, Turkmenen und Kurden haben immer wieder Streit. Bombenanschläge und Schießereien in den letzten Monaten verheißen nichts Gutes. Trotzdem – wenn man aus Bagdad kommt, kann man Tus als friedlich bezeichnen. Auf der Polizeistation wird bestätigt, dass Beamte vom Innenministerium in Bagdad da waren und in dem Fall der Deutschen Geisel ermittelt haben. Mehr will niemand dazu sagen auf dem Revier. Tariy Hadi ( 47) ist Englischlehrer am Gymnasium und hörte was die Einwohner von Tus über die Geiselnahme erzählten: „Alle hier sind sicher, dass, wenn die deutsche Frau kurz vor Tus gekidnappt worden ist, dann hat man sie wieder nach Bagdad gebracht. Hier auf dem Land um Tus kennt jeder jeden. Da wüsste man, wenn eine Ausländerin versteckt wird.“ Die zweite Möglichkeit sei, dass die Entführer auf der Verbindungsstraße ins 40 Kilometer entfernte Tikrit gefahren sind. „Dort in der Heimat von Saddam ist alles möglich“, sagt Tariy Hadi.

Sicher ist, dass auf der Bundesstraße B 3 von Bagdad nach Kirkuk nichts passiert, ohne dass ein mächtiger Scheich in Al Chalis, 30 Kilometer hinter Bagdad, es steuert oder zumindest darüber Bescheid weiß. Ein Geschäftsmann im kurdischen Sulemanija trifft regelmäßig den Scheich, um Schutzgeld für den sicheren Transport seiner Lastwagen von Bagdad nach Kurdistan zu bezahlen. Polizei und Militär an der B 3 stünden alle auf der Lohnliste des Scheichs. „Seit einer meiner Fahrer entführt wurde und gegen Bezahlung von 60 000 Dollar an den Scheich wieder freikam, weiß ich, dass er der unumschränkte Herrscher dieser Straße ist“, sagt der christliche Kaufmann aus dem Nordirak. „ Seitdem ich an den Scheich pro Lkw 2000 Dollar Schutzgeld bezahle, ist nie wieder etwas passiert.“

Das also ist das Umfeld, in dem Susanne Osthoff entführt worden ist. Selbst die Ermittler aus Bagdad werden es schwer haben. Besonders, wenn die Spur in das sunnitische Dreieck führt. Dort ist die neue Regierung in Bagdad verhasst. „Das ganze Gebiet wird von Stämmen regiert. Nur Kontakte zu deren Führern können in diesem Fall zu einer Lösung führen. Selbst Banditen und Saddam-Getreue hören auf diese mächtigen Männer“, sagt der Lehrer aus Tus.

Im Irak wird die Entführung der Deutschen kaum in den Nachrichten erwähnt. Bis jetzt wurden 600 Ausländer entführt, 200 davon wurden umgebracht. In der Sechs-Millionen-Einwohner-Stadt Bagdad werden pro Tag im Schnitt achtzig Iraker gekidnappt. Geschäftsleute, deren Kinder, Ärzte, Regierungsangestellte und deren Familien oder Dolmetscher der US-Streitkräfte. Kidnapping ist die einzige boomende Industrie in Bagdad. Das hat zur Folge, dass weniger als die Hälfte der Geschäfte überhaupt nicht öffnet. Große Geschäfte leisten sich zum Schutz eine Söldnertruppe, der mehr Menschen angehören als dem Verkaufspersonal. Auf die Hilfe der Polizei kann man im Irak nicht hoffen.

Erwin Decker[Tus Churmatu]

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